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Pop: Unter Geiern

Kann jemand, der am Boden ist, noch ein Hit-Album machen? Morgen erscheint Britney Spears Beichte – „Blackout“

„It’s Britney bitch“, kichert eine Stimme wie durch einen Telefonhörer. Dann setzen die Beats ein. Bratzender Synthesizer- Rhythmus, ohne Widerhall, ohne Elan, als würde jemand auf eine poröse Kautschukmatte eindreschen und dabei Styropor zersägen. Bumm-tschak, bumm- tschak. Es bliept und scheppert. Die Sounds kommen aus einem Keller gekrochen. „We can get down like there’s no one around“, singt die Stimme über das Versprechen des Untergrunds, „We keep on Rockin/ Cameras are flashin/ While we’re dirty dancin.“

Kameras, Blitzlichtgewitter, die gierigen Blicke einer Menge, die immer noch mehr sehen will – das sind die Ingredienzien von „Gimme More“, der aktuellen Single des am Freitag erscheinenden fünften Britney-Spears-Albums, das seit 2003 den ersten Versuch darstellt, die desaströse Karriere des drogen-, suizid- und sonstwie-gefährdeten Stars in geordnetere Bahnen zu lenken. Dass es ausgerechnet „Blackout“ betitelt ist, klingt schon beinahe wie ein Geständnis. Kann jemand, der am Boden ist, ein Hit-Album machen?

Es gibt wenige Popstars, die nur mit ihrem Vornamen identifiziert werden: Elvis, Prince, Madonna, Björk und Kylie fallen einem ein – und Britney. Sogar einen Adelstitel hat sie nun: Britney, die Schlampe. Sie lacht über diesen Witz. „Ich habe nie versucht zu verstecken, wer ich bin“, sagt sie. „Es waren die Leute um mich herum, die nicht zeigen wollten, wie ich wirklich bin.“ Doch es ist ihre Tragödie, dass sie es selbst nicht zeigen kann.

Britney Spears ist ein Hollywood-Monster. Nicht nur, dass sie die einschlägigen Nachtclubs von L.A. in Kleidern aufsucht, die den Namen nicht verdienen, dass sie sich oft ohne Unterwäsche den Paparazzis präsentiert, Fast-Food in sich hineinschaufelt und im Auto auf die Gegenfahrbahn wechselt, ohne dass es dafür einen ersichtlichen Grund gibt. Entziehungskuren bricht sie ab. Nur scheinbar stehen solche Eskapaden in krassem Gegensatz zu dem sauberen Lipgloss-Image, dem Britney Spears ihr monatliches Einkommen von 750 000 US-Dollar verdankt.

Sie wurde als Teenager gedrillt, ihr Sexualität als Marke auszustellen und einer kalten und herzlosen Hit-Maschinerie als Identifikationsfigur zu dienen. Nun tut sie alles, um diesen Dämon wieder loszuwerden. Doch braucht sie auch dafür andere, die zeigen, wer sie ist. Mit Produzenten wie Nate „Danja“ Hills aus der Timbaland-Schule, der „Gimme More“ verantwortet, sucht sie den Anschluss an den Disko-Sound der Zeit. Und Hills nutzt das weidlich aus. Wenn man auch nicht gleich begreift, wovon „Gimme More“ handelt, so stöhnt und röchelt Britney doch ausgiebig genug, um an das Eine zu denken.

Das war schon immer das Kunststück dieser Sängerin, dass sie als all-american girl die Unschuld vom Lande zu verkörpern, aber nichts als Sex im Sinn zu haben schien. Mit dem gespenstischen Song „Piece of Me“ stellt sie sich erstmals diesem Dilemma, das die Baptisten-Tochter aus Louisiana zum Spielball der amerikanisch-protestantischen Bigotterie macht. Seit sie 17 sei, gelte sie als „Miss american dream“, klagt sie zu den schleppenden Schleifgeräuschen eines schrägen Cyber-Beats. „I’m Miss bad media karma/ Another day another drama“. Als habe sich die Welt gegen sie verschworen, schultert sie die Vorurteile einer Mrs. Lifestyles of the rich and famous, Mrs. Oh my God that Britney’s Shameless, Mrs. Exta! Extra!, Mrs. she’s too big now she’s too thin. Mrs. ,Most likely to get on TV for strippin’ on the streets’.

Dieses Vexierspiel ist ebenso hellsichtig wie kläglich. Denn es führt eine Person vor, die im Spiegelstadium stecken geblieben ist: Ich bin, was die Leute von mir erwarten, lautet das Credo. Es wäre unerträglich, wenn dieser Vorwurf durch Gefühl und Sentiment unterfüttert wäre. Doch die Produzenten benutzen den schlechten Ruf ihres Schützlings bloß als Vorwand, um von der Unmöglichkeit eines selbstidentischen Lebens zu erzählen.

Für einen Popstar gehört schlechtes Benehmen zum guten Ton. Es wird ihm nicht nur verziehen, sindgeradezu von ihm erwartet. So konnte R. Kellys märchenhafter Karriere weder seine Ehe mit der 15-jährigen Aaliyah noch ein Video etwas anhaben, das ihn beim Sex mit einer Minderjährigen zeigte. Oder Jack White: Die männliche Hälfte der White Stripes musste sich 2004 wegen schwerer Körperverletzung verantworten, nachdem er einer Kollegin ein Auge zertrümmert hatte. Seiner Beliebtheit tat das keinen Abbruch. Da nehmen sich Britney Spears' Fehltritte wie Bagatellen aus. Aber das Beispiel Janet Jacksons, der bei einem Super-Bowl-Auftritt ein Busen aus dem Mieder rutschte, zeigt, dass einen mitunter pure Ungeschicklichkeit erledigen kann. Der britische „Guardian“ bemerkte süffisant, dass Jackson besser gefahren wäre, wenn sie ihrem Bühnenpartner brutal ins Gesicht geschlagen hätte.

Warum einige Stars Skandale unbeschadet überstehen, während andere plötzlich zur Unperson erklärt werden, ist nur halb so mysteriös wie es klingt. „Politiker“, schrieb der „Guardian“ weiter, „die sich darüber beschweren, dass die Medien sich auf ihr Privatleben werfen, statt auf ihre Arbeit, wären erstaunt über die Fähigkeit des Pop, den Song über nahezu sämtliche anderen Aspekte zu stellen.“ Der Niedergang, heißt das, ist ein musikalischer. Gute Musik kann moralische Versager in Helden verwandeln.

Während in der Öffentlichkeit von Britney noch das Bild der derangierten Mutter kursiert, die das Sorgerecht für ihre Kinder verloren hat, schießt „Gimme More“ in den USA an die Chartspitze. Das ist der 25-Jährigen zuletzt mit „...Baby One More Time“ gelungen, ihrem Debüt, und sagt viel über die Kraft einer Musik, die bereits Madonna und Justin Timberlake Erfolg gebracht hat. Vor allem Timberlakes bahnbrechendes „Futuresex/Lovesounds“-Album demonstrierte vor einem Jahr, wie die harten, reduzierten und giftig-aggressiven Laptop-Beats der Clubkultur dem glatten Image des Kinderstars neues Leben, Abenteuer und Exzess einflößten. Britney ist ihrem Ex-Lover auf diesem Weg gefolgt – wenn sie auch längst nicht seine Klasse hat. Ihre Stimme ist ein künstlich aufgeblasener Helium-Sopran. Aber das Brodeln des Untergrunds, das Songs wie „Radar“, „Get Naked (I Got A Plan)“ und „Hot As Ice“ zu mitreißend dreckigen Pop-Perlen macht, tut seine Wirkung. Wundersamerweise korrespondiert diese verschlampte Musik sogar mit ihrem ruinösen Lebensstil. Einer Frau, deren ausuferndes Party-Dasein hinreichend dokumentiert ist, nimmt man die Hinwendung zu chronisch unfertigen Disko-Sounds sogar ab.

Wird jetzt alles wieder gut? Musik kann die Wunden, die dem von Kindesbeinen an auf eine Bühnenkarriere hin dressierten Mädchen zugefügt wurden, nicht heilen. Aber in „Why Should I Be Sad“ stellt sich Britney immerhin die Frage, ob ihr Elend vermeidbar gewesen wäre, wenn sie auf Freunde gehört und sich nicht auf den Background-Tänzer Kevin Federline eingelassen hätte. Der Song ist eine Art musikalischer Scheidungsurkunde: „Just take it all/ As I sign that we’re through.“ Das ist schon mal ein Anfang.

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