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Popglosse: Cooler altern

Eine nostalgiefreie Zeitreise: Thurston Moore zeigt bei seinem Auftritt in der Volksbühne, wie lässig man mit dem Alter umgehen kann.

Die Zeitreise findet an diesem Abend hauptsächlich im Foyer der Berliner Volksbühne statt. Vor dem Auftritt von Thurston Moore im Theatersaal geht Jochen Arbeit im schwarzen Anzug seiner Arbeit als DJ nach – jener Jochen Arbeit, der bei den Einstürzenden Neubauten Gitarre spielt und das ehedem auch bei einer Band namens Die Haut tat. Willkommen in den Berliner achtziger und neunziger Jahren, möchte man meinen. Hier finden sich all jene auf ein Prä-Bier ein, die Thurston Moores eigentliche Band, Sonic Youth, in den Achtzigern kennen- und in den Neunzigern vielleicht sogar lieben gelernt haben. Menschen zwischen 35 und, ja, 50, 55, die Moores Solokarriere genauso interessiert verfolgen, wie sie womöglich erstaunt darüber sind, dass er und seine Lebens- und Sonic-Youth-Partnerin Kim Gordon sich kürzlich getrennt haben, nach fast dreißig Jahren.

Es dominiert aber dieses schöne, oft überrascht oder freudig ausgestoßene „Lange-nicht-gesehen“-Hallo. Vor allem Fragen nach dem Wohlergehen werden gestellt, dem gesundheitlichen, dem beruflichen („Mit den Zähnen wieder alles in Ordnung?“ „Was macht der Verlag?“ „Wie läuft der Job bei der Gewerkschaft?“), aber auch unwahrscheinliche Vorhaben ins Auge gefasst, etwa: „Wir müssen uns bald mal wieder treffen!“ Ums Coolsein geht es nicht, nicht zuletzt, weil es Sonic Youth und ihren Fans noch nie darum gegangen sind. Deshalb kommt man hier gar nicht in die Verlegenheit, einst coolen Menschen beim eher uncoolen Altern zuzuschauen, wie etwa bei Auftritten eines Jon Spencers. Auch von Nostalgie keine Spur. Niemand fühlt sich verleitet, Sonic-Youth-Auftritte zu „Goo“- und „Dirty“-Zeiten herbeizuerinnern, niemand redet von den letzten Konzerten der Band in der Stadt oder verliert auch nur ein Wort über den Moore-Gordon-Split.

Das angenehm Nostalgiefreie verdankt sich nicht zuletzt Thurston Moore selbst und seiner Musik. Prachtvoll liegen die wellig langen Haare auf und an seinem Kopf, auch mit dunklem Jackett und Krawatte sieht er super aus. Nur die braunen Puma-Turnschuhe künden von einer gewissen Berufsjugendlichkeit. Seine Band besteht aus einer Violinistin, einer Harfenistin, einem weiteren Akustikgitarristen sowie einem Schlagzeuger, und Moore spielt ausschließlich Stücke seiner Soloalben, vor allem vom letzten, „Demolished Thoughts“, auf dem die klassischen Instrumente manchmal etwas Nervenzerfetzendes, Noisiges haben.

Das ist jetzt gar nicht so. Alles wirkt harmonisch, ruhig, wie eine Mischung aus Kammermusik und Singer-Songwriter-Set, mit seltenen, in diesem Zusammenhang etwas albern lärmig wirkenden Ausbrüchen. Am Ende hat Moore Krawatte und Jackett abgelegt. Da hängt das Hemd wieder aus der Hose, auch die Turnschuhe passen jetzt. Doch, doch, das haut hin. Mit Thurston Moore kann man unpeinlich alt werden.

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