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Rapperin Malikah kam 1986 in Marseille zur Welt und lebt in Dubai.

© Kai-Uwe Heinrich

Porträt der Rapperin Malikah: Mädels, lasst uns die Welt reparieren

Die libanesische Rapperin Malikah ist ein Vorbild für arabische Frauen. Mit dem Stargaze Kammerensemble tritt sie jetzt in Deutschland auf. Ein Berliner Probenbesuch.

Ein Schnipsel reist durch die Welt. Zwei Takte nur, vier Mal wiederholt, ein schnelles sägendes Motiv. Geboren wird es Mitte der siebziger Jahre von einer leicht verzerrten E-Gitarre in der Türkei. Es ist der Beginn des Lieds „Ince Ince“ der großen türkischen Musikerin Selda Bağcan, die darin die Armut kurdischer Städte anprangert. Über dreißig Jahre später sampelt der New Yorker Rapper Mos Def es für seinen Song „Supermagic“, nach sechs weiteren Jahren beginnt „Issues“ seines kalifornischen Kollegen Dr. Dre damit.

Jetzt ist der Schnipsel in Berlin-Mitte gelandet. Genauer gesagt auf der Oud des palästinensischen Virtuosen Saied Silbak, der mit sechs weiteren Musikerinnen und Musikern in einem fensterlosen Probenraum mit rotem Teppich sitzt. Seine Eröffnungstakte werden etwas leiser gedoppelt von André de Ridder an der E-Gitarre. Und dann macht es bäm: Eine Stimme erklingt, sie rappt schneidend, schnell und sicher, verlangt absolute Aufmerksamkeit. Selbst wer keines der arabischen Worte versteht, begreift: Diese Frau hat etwas zu sagen und sie weiß wie. Ihr Name ist Malikah, Arabisch für Königin. Sie hat ihn sich selbst gegeben, genau wie den Titel „queen of arabic hip-hop“. Das war anfangs wohl noch genretypischer Großmäuligkeit geschuldet, beschreibt ihre Position in der Pop-Welt mittlerweile aber ganz angemessen.

Dabei fand die 1986 als Lynn Fattouh geborene Tochter einer Algerierin und eines Libanesen lange, dass Arabisch gar keine Rap-Sprache sei. Sie selbst begann als Teenagerin, inspiriert von US-Größen wie 2Pac, Snoop Dogg, Nas oder Lauryn Hill, die ihr älterer Bruder im gemeinsamen Zimmer rauf und runter hörte, unter dem Namen Lix auf Englisch zu rappen. „Erst 2006, als Israel uns attackierte, änderte ich meine Meinung“, erzählt sie beim Gespräch in einer Probenpause. Damals lebte sie mit ihrer Familie in Beirut, wo die Erde zitterte von den einschlagenden Raketen. „Das hat mich wirklich getroffen, weshalb ich unbedingt etwas darüber schreiben wollte“. Als sie begann, einen englischen Text zu verfassen, wurde ihr schlagartig klar, dass das nicht funktionieren würde. Selbst wenn 99 Prozent ihrer Landsleute ihre Worte verstanden hätten, fühlte es sich falsch an. „Warum sollte ich zu meinen eigenen Leuten nicht in unserer Sprache sprechen? Arabisch ist so schön und kraftvoll“, sagt Malikah.

Stargaze arbeiten zum ersten Mal mit Rapperinnen

Also schrieb sie „Ya Lubnan“ (Oh Libanon) in ihrer Muttersprache, änderte ihren Namen und schwor sich, nie mehr in einer anderen Sprache zu rappen. Sie hat sich daran gehalten – und es hat sich ausgezahlt. „Ich wurde so schnell so viel besser“, erinnert sie sich. Und das nicht nur, weil ihr Wortschatz nun größer war, sondern auch, weil plötzlich alles viel mehr Sinn ergab und sie ihre Identität als Rapperin fand. Von dieser frühen Zeit, in der sie sich in der Szene von Beirut hochkämpfte, handelt auch der am Vormittag geprobte Song mit dem Selda-Schnipsel.

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Die Musikerinnen und Musiker, mit denen Malikah hier eine Woche lang zusammenarbeitet und Ende dieser Woche in Köln, Berlin und Hannover auftritt, gehören zum Stargaze Kammerensemble. Dieses 2013 vom Berliner Dirigenten und Violinisten André de Ridder gegründete multinationale Kollektiv klassisch geschulter Instrumentalistinnen und Instrumentalisten hat sich mit zahlreichen Kollaborationen zwischen Pop und zeitgenössischer Musik einen Namen gemacht. Auf der langen Liste der Stargaze-Projekte stehen unter anderem Owen Pallett, Julia Holter, Nils Frahm, Matthew Herbert und These New Puritans. Mit Rappern hatten die Stargazer allerdings noch nie die Ehre. Dafür haben sie zu "Spitting Chamber Music" mit Inna Modja aus Mali, dem Amerikaner Spank Rock, dem Berliner Käptn Peng und Malikah gleich besonderes spannende Gäste eingeladen.

Malikah lebt in Dubai, doch sie rappt über den Libanon

Rapperin Malikah kam 1986 in Marseille zur Welt und lebt in Dubai.
Rapperin Malikah kam 1986 in Marseille zur Welt und lebt in Dubai.

© Kai-Uwe Heinrich

André de Ridder hat Malikah vor vier Jahren bei einem Damon-Albarn-Projekt in Marseille kennengelernt, bei dem eine große Gruppe Musikerinnen und Musikern von verschiedenen Kontinenten spontan miteinander spielte. Bei einem Lied traf De Ridder mit seiner Violine auf die libanesische Rapperin. „Mir ist von Anfang an die unglaubliche Energie aufgefallen, mit der sie sich in den Prozess geworfen hat“, erinnert er sich. Die kann man nun auch bei den Berliner Proben beobachten, zu denen die Frau mit der imposanten Lockenmähne größtenteils schon fertige Texte mitgebracht hat. Sie schickte dem Ensemble auch einige ihrer neuen Songs, die man nun gemeinsam umsetzt. Stargaze stellen überdies die klassische Hip-Hop-Technik des Loops nach: Statt ein Motiv zu sampeln und es hintereinanderzuhängen, spielen sie es wie im Fall des „Ince Ince“-Zitats einfach selbst, wobei sich reizvolle Variationsmöglichkeiten ergeben, etwa wenn der Abschlussschnörkel des Intros an zwei Querflöten übergeben wird, die es in einen hektischen Triller verwandeln.

Beide Seiten lassen sich auf etwas Neues ein

Das Ensemble denkt sich auch eigene Loops aus und bietet sie den Gästen an. Was nicht immer sofort klappt: „Wir stoßen an die Grenzen, weil es häufig heißt, dass ist kein Hip-Hop“, erklärt André de Ridder. „Genau das ist aber auch der Sinn. Wir sagen dann: Schau mal, hier gibt es doch eine rhythmische Regularität, aber eine andere. Die Rapper öffnen sich dann dafür.“ Beide Seiten lassen sich so auf etwas Neues ein. Für Malikah, die schon mit vielen Rappern, Rockbands und einem Orchester gearbeitet hat, ist es eine lehrreiche Erfahrung. Sie fühle sich, als kenne sie die Stargazer schon lange, sagt sie.

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Malikah ist eine meinungsstarke, furchtlose Frau, die ihre Unabhängigkeit schätzt. Weil sie die Kontrolle über ihre Musik behalten und nicht aus finanziellen Gründen Kompromisse machen will, arbeitet sie schon einige Jahren hauptberuflich für eine Werbeagentur in Dubai. Über die Vereinigten Arabischen Emirate – eine absolute Monarchie, in der die Meinungsfreiheit eingeschränkt und Homosexualität illegal ist – fällt kein kritisches Wort von ihr. „Zu mir war Dubai immer nur gut“, sagt Malikah. Ihr Blick richtet sich ohnehin weiterhin auf den Libanon. In einem anderen Lied, an dem sie zuvor mit Stargaze gearbeitet hat, rappt sie über die Folgen einer hoch korrupten Politik, die das Land in Armut stürzt – was ihre Heimatliebe in den letzten Jahren deutlich abkühlen ließ.

Als Frau in der Männerdomäne hatte sie nie Probleme

In dem Song wiederholt sie mehrmals die Worte „Al’amn walhurria“ – Sicherheit und Freiheit. „Die Einheit der arabischen Welt ist unabdingbar. Wir müssen uns vereinen, um in Sicherheit und Freiheit leben zu können“, erklärt Malikah. Der panarabische Gedanke ist ihr genauso wichtig wie die Stärkung von Mädchen und Frauen. Sie selbst hatte das Glück, dass ihr Vater – ein weltoffener Herzchirurg – ihr einst erlaubte, zu rappen, solange ihre Noten gut waren. Dass sie als Frau in ein Männergeschäft einstieg, war dabei nie ein Problem. „Die Leute denken das immer, weil ich eine arabische Frau bin, aber das Gegenteil ist der Fall. Es war ein großes Plus. Alle unterstützten mich, eben weil ich eine Frau bin“, so Malikah, die stolz darauf ist, inzwischen ein Vorbild für andere Frauen zu sein. Sie erzählt von einem Mädchen aus Saudi-Arabien, das ihr schrieb, dass sie wegen ihr mit dem Zeichnen angefangen habe. So etwas passiere oft.

„Weltweit geht es bergauf mit dem empowerment von Frauen“, sagt sie. Und fügt lachend hinzu: „Es wird Zeit, dass wir die Welt übernehmen. Sie wurde so ruiniert, wir müssen sie reparieren“. Ihre Power-Raps können dabei sicher nicht schaden.

Konzerte: Philharmonie Köln, 5.5., 20 Uhr, Emmauskirche Berlin, 6.5., 23.15 Uhr, Capitol Hannover, 7.5., 20 Uhr

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