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Regisseurin Micah Magee, 38, kam vor 15 Jahren aus Texas nach Berlin.

© Paul Grandsard

Porträt der Regisseurin Micah Magee: Fahrt ins Ungewisse

Berlin, Texas, Dänemark: Die Regisseurin Micah Magee ist viel unterwegs. Jetzt kommt ihr Langfilmdebüt „Petting Zoo“ ins Kino. Ein Ferngespräch.

Das Bild ist unscharf, verwackelt, stockt immer wieder. Micah Magee läuft über ein leuchtend grünes Feld. Wind weht in das Mikrofon. „Ich habe meinen Hund verloren!“ dringt es noch krachend durch die Leitung, dann bricht die Skype-Verbindung endgültig zusammen.

Sie ruft aus einem Flur des European Film College im dänischen Ebeltoft zurück, an dem sie gerade als Gastdozentin Regie unterrichtet und dessen hübsche Umgebung sie hatte zeigen wollen. „Von außen sieht die Schule aus wie ein Schiff!“ begeistert sie sich. Auf dem Bildschirm wirkte es eher wie eine merkwürdig verbogene, weiß gestrichene Militärkaserne. Ob sie ihren Hund wiedergefunden hat, sagt sie nicht.

Stattdessen redet sie los: Wie sie von Texas nach Berlin kam, fluchtartig. Kurz vor George W. Bushs Wahl zum Präsidenten hatte ein Sondereinsatzkommando die Garage in Austin gestürmt, in der sie mit Freunden das Studio ihres Piraten-Senders eingerichtet hatte. Es gab ein Gerangel um die Musikalben, sie wurde verhaftet und einen Tag lang eingesperrt. Warum? Weiß sie nicht genau. In ihrer Sendung habe sie vor allem elektronische Musik aufgelegt. „Manchmal denkt man nicht, dass etwas politisch ist. Vielleicht war es schon zu viel, dass bei uns jeder sagen durfte, was er wollte.“ Sie hatte die Nase voll von Texas. Mit einem Fulbright-Stipendium kam sie nach Berlin und begann an der Deutschen Film- und Fernsehakademie zu studieren. Das war 2001.

Der Film spielt in Micah Magees Heimatstadt San Antonio

Seitdem pendelt sie zwischen Berlin, New York, Texas. Aus Dänemark ist sie schon wieder so gut wie zurück in ihrer Wahlheimat Berlin. Spätestens, wenn am Donnerstag ihr erster Lang-Film in die Kinos kommt. „Petting Zoo“, der seine Premiere letztes Jahr im Panorama der Berlinale feierte und auf anderen Festivals einige Preise gewann, porträtiert authentisch und feinfühlig eine Jugendliche, die ungewollt schwanger wird. Layla hat gerade ein Stipendium für das College zugesagt bekommen. Sie wäre endlich rausgekommen aus dem bigotten Sumpf, in dem sie aufgewachsen ist. Denn San Antonio, Ort des Geschehens und Magees Heimatstadt, liegt tief im amerikanischen Süden, im anglikanisch geprägten „Bibel-Gürtel“. Eine Gegend, in der im Sexualkundeunterricht als Verhütungsmethode meist nur „Abstinenz“ genannt wird und in der eine Abtreibung als unchristliches Verbrechen gilt. Die Konsequenz: Die Stadt hat eine der höchsten Raten von Teenager-Schwangerschaften in den USA.

Die Eltern der ungewollt schwangeren Schülerin sind gegen Abtreibung

Laylas Eltern weigern sich, einer Abtreibung zuzustimmen, ihr Lehrer wirft ihr vor, ihre Zukunft in den Wind zu schießen. Eine simple, alltägliche Story, doch gleichzeitig ein komplexes Drama, das sich unter der Oberfläche abspielt. Es spiegelt sich in Laylas Gesicht, in ihrer Art zu schweigen. Was soll sie auch sagen, sie hat ja keine Wahl.

Die damals 16-jährige Hauptdarstellerin Devon Keller verkörpert Layla so echt, das man zuerst erschaudert. Man könnte es für Amateurhaftigkeit halten. Und tatsächlich hatte Devon Keller vor „Petting Zoo“ keine professionelle Schauspielerfahrung. Aber für Micah Magee ist eine andere Art der Erfahrung wichtiger: Dass die Schauspielerin das soziale Milieu und die Orte kennt, in denen sich ihre Figur bewegt. „Auch Schauspieler gehen nicht vorurteilsfrei an ihre Rollen heran. Wenn sie ihre Rollen von außen betrachten, beurteilen und ,spielen’ sie, liefern Stereotypen ab. Gerade bei diesem Thema oft mit einem mitleidigen Beigeschmack“, sagt die Regisseurin. Die Schule, auf die Layla in „Petting Zoo“ geht, war auch die Schule von Magee und ihrer Hauptdarstellerin. Und im Sommer sind sie wirklich in dem Fluss geschwommen, der sich zum mythologischen Urbild des Films entwickelt, zur Metapher für das Leben selbst.

"Ich will, dass die Schauspieler Geheimnisse haben", sagt Magee

Devon Keller (r.) spielt Layla in "Petting Zoo".
Devon Keller (r.) spielt Layla in "Petting Zoo".

© Peripher Film

Micah Magee ist selbst als Jugendliche schwanger gewesen, auch sie hat, wie ihre Protagonistin, ihr Kind tot zur Welt gebracht. Trotzdem erzählt sie mit dem Film nicht einfach ihre eigene Geschichte, sondern transformiert sie in Charaktere und Bilder, die von einer universellen menschlichen Erfahrung erzählen. „Ich möchte, dass die Zuschauer mit ihrer eigenen Geschichte in den Film hineinfinden“, erklärt die 37-jährige Regisseurin. Durch Devon Kellers herausragendes Spiel gelingt das tatsächlich: Man meint beim Zuschauen ihre Zerrissenheit am eigenen Leib zu spüren. Die stille Stärke des Mädchens vergisst man nicht so schnell.

Vielleicht gerade weil so vieles unausgesprochen und schwer greifbar bleibt. Stattdessen wirken die ruhigen, sorgsam fotografierten Bilder und die oft langen Einstellungen. Etwa wenn man die zierliche Layla immer wieder in Fahrzeugen mitfahren sieht, die andere lenken: im Schulbus, im Wagen ihrer Freundin oder ihres Onkels. Dann fühlt man (wieder) dieses Ausgeliefertsein, dass dieses kluge, reflektierte Mädchen die Richtung, in die ihr Leben steuert, nicht selbst in der Hand hat. „Vielleicht bin ich auf Fotos hängen geblieben… Jedenfalls empfinde ich schnelle Schnitte als körperlich schmerzhaft“, erklärt Magee achselzuckend die hochgelobte Bildsprache ihrer Filme, dank der auch dann etwas passiert, wenn eigentlich nichts passiert.

Nicht immer alles vorher wissen

Man muss ja nicht immer alles erklären, alles wissen, alles sagen. Auch über die eigenen Filme nicht. „Ich will, dass die Schauspieler Geheimnisse haben. Vor der Kamera und vor mir.“ Verteidigung einer fiktionalen Privatsphäre? Eher eine Verteidigung des Ungewissen – die das wirkliche Leben ausmacht und sich im Film spiegeln soll. Zum Beispiel indem sie eine Szene mit zwei unterschiedlichen Ausgängen proben lässt. Beim Dreh liegt es dann bei den Schauspielerinnen und Schauspielern, wie sie sich entscheiden. „In der Realität wissen wir ja auch nicht schon vorher, wie eine Situation enden wird.“

Offenheit für das Ungewisse – das täte auch der Filmindustrie im Allgemeinen gut, findet Magee. Immer schon wissen zu müssen, was man mit einer Sache genau will, verhindere oft die interessantesten Projekte. Von denen es im Übrigen eine Menge gebe, besonders in Berlin, weiß sie als Jury-Mitglied von Achtung Berlin, einem Festival für Filme aus Berlin und Brandenburg. Die Frage sei eher, ob sie wahrgenommen würden.

„Petting Zoo“ wird wahrgenommen. Doch Geld ist, wie sie oft bei Independent-Filmemachern, ein schwieriges Thema. Micah Magees Devise lautet: „Die laufenden Kosten niedrig halten. Nur dann kann man seine eigenen Ideen verwirklichen.“ Mit einem unbetrüblichen Wild-West-Lächeln erzählt sie, wie sie mit ihrem Mann, einem dänischen Filmemacher, und ihren zwei Kindern in Berlin auf 25 Quadratmetern gelebt hat. Jetzt gibt es ein drittes Kind und ein Grundstück auf der dänischen Insel Bornholm. Dort wollen sie ein Haus herrichten, in dem Filmschaffende mit anderen Kreativen in Ruhe arbeiten können. Beginn der Renovierungsarbeiten ist diesen Sommer.

Auch wenn Magee und ihr Mann vereinbart haben, dass jetzt erst mal er dran ist, einen Film zu machen: Hoffentlich entsteht bald auch ein neuer Film von Micah Magee, der die Ungewissheit so wunderbar zur Tugend macht wie „Petting Zoo“. An Entschlossenheit mangelt es ihr jedenfalls nicht.

Filmgespräche mit Micah Magee: Hackesche Höfe Filmtheater, 20.5., 20 Uhr, fsk Kino, 21.5., 20.15Uhr

Carolin Haentjes

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