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Kultur: Potsdams Potemkinsche Dörfer

Von wegen Speckgürtel! Was man im Land Brandenburg auch anfasst, auf Fettpölsterchen stößt man garantiert nicht.

Von wegen Speckgürtel! Was man im Land Brandenburg auch anfasst, auf Fettpölsterchen stößt man garantiert nicht. Am allerwenigsten bei der Kultur: Abgemagert bis auf die Knochen sind die Institutionen, nur die Zähsten haben die mageren Jahre seit der Wende überhaupt überlebt. Da löst die Ankündigung der zuständigen Ministerin Johanna Wanka, im laufenden Haushaltsjahr müssten noch einmal 18 Millionen Euro aus dem Kulturetat herausgeschnitten werden, sofort die alttestamentarische Vision der finalen, alles vernichtenden Plage aus.

Gerade einmal 500 Millionen Euro stehen seitens der Brandenburger Regierung per anno für Wissenschaft und Kultur zur Verfügung. Weil aber die Etats der Hochschulen im Nachtragshaushalt unangetastet bleiben sollen, können die Sparleistungen nur aus den verbleibenden rund 300 Millionen Euro erbracht werden. Gleich nach der Bekanntgabe der Koalitionsvereinbarung wurde gestern der bereits laufende Landeswettbewerb von „Jugend musiziert“ gestoppt – weil das Finanzministerium die Freigabe jeglicher Gelder verweigert. Für unabhängige Kunstprojekte stehen 2003 nur noch fünf statt sieben Millionen Euro zur Verfügung, fast ein Drittel weniger als geplant. Das trifft vor allem die OffGruppen, die regionale Kunstszene und die freien Träger in den kleinen Gemeinden. Und selbst das Theater der Landeshauptstadt Potsdam steht plötzlich auf schwankenden Planken. Zwar hat sich Johanna Wanka vier Wochen Bedenkzeit ausbedungen, um festzulegen, wie viel wo gekürzt wird, doch ihre Präferenz liegt bei harten Schnitten: „Ehe alle am Hungertuch nagen, ist es besser, ein Theater zu schließen“.

Auch wenn sie den Namen des Potsdamer Hans-Otto-Theaters nicht dezidiert erwähnte – so viele Bühnen, die man dicht machen könnte, gibt es in dem großen Flächenland gar nicht mehr. Schwedt und Senftenberg, die zu DDR-Zeiten über Drei-Sparten-Häuser mit Oper und Orchester verfügten, sind schon lange zu kleinen Sprechbühnen zusammengeschnurrt. In Frankfurt an der Oder steht nur noch eine Theater-Hülle, die mit Gastspielen gefüllt werden muss, in Brandenburg an der Havel wird Musiktheater ohne festes Ensemble auf der Basis von Stückverträgen gemacht, Cottbus hat sein Ballett geopfert.

Richtig grotesk ist sie Situation in Potsdam: Um die Renovierung des Nikolaisaals zu finanzieren, entschloss man sich, das städtische Orchester abzuwickeln. Während der endlosen Planungsphase des Theater-Neubaus wurden erst der Chor, dann die Opernsolisten vor die Tür gesetzt. Erst vor kurzem gab die Regierung ihren Beitrag zum 50 Millionen Euro teuren Bühnenprojekt frei. Würde mit dem Argument der nahen Kulturmetropole Berlin nun auch noch die verbliebene Schauspieltruppe zur Disposition gestellt – der Schildbürgerstreich wäre perfekt.

Die Ministerin freilich lässt durch ihren Sprecher verkünden, man solle lieber auf die positiven Entwicklungen schauen: Immerhin sei es ihr gelungen, die im Rahmen des „Haushaltssicherungsgesetzes“ drohenden Abwicklungen der Kunstsammlungen und des Theaters in Cottbus sowie des Potsdamer Filmmuseums in eine „Strukturüberprüfung“ umzuwandeln. Es kommt eben immer auf den Blickwinkel an, ob man eine Silhouette als bemerkenswert schlank empfindet oder doch eher als magersüchtig.

Je weiter man von Berlin weg ist, desto verzichtbarer erscheint den Verantwortlichen offenbar Kunst und Kultur. Gerade in bettelarmen Kommunen des Umlands macht es sich besonders bitter bemerkbar, dass der Bereich zu den „freiwilligen“ Aufgaben der öffentlichen Hand gehört. Regionen wie die Uckermark haben ihre Aufwendungen für Kultur um bis zu 75 Prozent zusammengestrichen. Was aber bleibt, wenn der letzte Vorhang gefallen, die letzte Kulturscheune geschlossen ist? Dann gehen die Wessis, die der regionale Tourismus so dringend braucht, doch nur wieder nach Weimar.

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