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Kultur: Pracht muss sein

Tempel für die Hochkultur: Die Münchner Pinakothek der Moderne feiert den Architekten Gottfried Semper

Als Dresden im vergangenen Hochsommer von der Flut heimgesucht wurde, standen die Bauten des historischen Stadtkerns im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Die Bilder von der Rettung der Gemälde aus der Sempergalerie ebenso wie die der vom Wasser eingeschlossenen Semperoper prägten sich tief in die Erinnerung ein.

Sempergalerie, Semperoper? Es ist selbstverständlich, die beiden herausragenden Bauten mit dem Namen ihres Architekten zu nennen. Tatsächlich handelt es sich um die Gemäldegalerie Alter Meister und das Opernhaus, das vormalige Hoftheater. Doch der Klang des Namens Sempers ist in Elbflorenz geläufig; weniger schon, wer er war, ungeachtet seines auf der Brühlschen Terrasse prominent logierenden Denkmals; und schon gar nicht lebt auch nur eine Ahnung fort, worin sein Lebenswerk besteht.

So klingt es mehr nach Wunsch denn Wirklichkeit, wenn jetzt die gestern eröffnete, große Retrospektive zum Werk Gottfried Sempers (1803-1879) in der Münchner Pinakothek der Moderne mit einer fortdauernden Wirkung des Architekten begründet wird. Äußerer Anlass ist der 200. Geburtstag im November; München kommt als Austragungsort in Frage, weil Semper hier mit dem König-Ludwig-Projekt des Wagner-Festspielhauses 1866 ein Muster seiner Theaterbauten erdacht hatte.

Farbiges Leben

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Architekturinstitut der ETH Zürich, die mit ihrem Hauptgebäude ein stadtbildprägendes Spätwerk Sempers besitzt. Dresden selbst, so ist zu hören, zeigte sich wenig interessiert und kam schließlich zu spät, um in die Tournee des empfindlichen Papiermaterials einbezogen zu werden. Das ist doppelt bedauerlich, nicht nur weil die Dresdner Bauten Sempers die geläufigsten sind, sondern auch, weil hier vor 24 Jahren die letzte Semper-Ausstellung stattfand Sie unterstrich die bemerkenswerte Hinwendung der DDR zum Erbe des 19. Jahrhunderts, wie sie in der detailgetreuen Rekonstruktion des kriegszerstörten Opernhauses so sichtbar zum Ausdruck kommt.

Wie aktuell kann Semper überhaupt sein? Gute Frage; viel wichtiger ist jedoch, sein Werk überhaupt wieder ins Bewusstsein zu heben. Das Respekt heischende Gemeinschaftsunternehmen von Winfried Nerdinger, dem Direktor des im weißen Neubau der Pinakothek beheimateten Architekturmuseums der TU München, und Werner Oechslin von der ETH Zürich, überhaupt erst einmal ein gültiges Werkverzeichnis zu erstellen – das sie gegenüber dem 50 Jahre alten Vorläufer (!) von 80 auf 141 Nummern komplettieren konnten – und sodann der Öffentlichkeit einen Überblick darüber in Ansichten, Rissen, Modellen und zeitgenössischen Fotografien zu geben, genügt zur Rechtfertigung vollauf; von dem eindrucksvollen, künftig den Maßstab setzenden Katalog ganz zu schweigen. Was in der Pinakothek der Moderne in der kongenialen, bewusst farbenfrohen Gestaltung von Altmeister Klaus-Jürgen Sembach zu bewundern ist, stellt das Musterbeispiel einer Architekturausstellung dar, die Raum für Raum Lust macht auf die Beschäftigung mit dem Werk wie mit dessen historischem Kontext.

Nun verlief allerdings Sempers Leben farbig genug. Geboren 1803 in Hamburg, erhielt er seine Ausbildung in Göttingen und Paris, wurde 31-jährig auf eine Professur nach Dresden berufen, engagierte sich 1849 im Dresdner Barrikadenkampf, musste fliehen, ging nach London, dann nach Zürich; konnte endlich wieder in Dresden tätig werden, ehe ihn ein später Ruf nach Wien lockte, wo er sich allmählich aus dem Berufsleben zurückzog und schließlich in Rom verstarb.

Die Biografie gibt also Chronologie und Einteilung seiner Werke vor. Im 19. Jahrhundert pflegte der Baumeister noch an den Ort seiner Bauten zu ziehen, zumal Semper, der die Ausführung seiner Entwürfe genauestens zu überwachen pflegte, um „das Bauwesen“ aus seinen „bisherigen Verhältnißen zu heben“, wie er 1838 selbstbewusst schrieb.

Semper ist – wie die Protagonisten der vorangehenden Generation, Schinkel und Klenze – ein Architekt öffentlicher Bauten. Er hat drei Theater gebaut (zwei in Dresden, eines in Wien) und zwei weitere, nicht minder wegweisende entworfen; er hat eine Hochschule errichtet (in Zürich), ein „normales“ (Dresden) und zwei (spiegelbildliche) Riesenmuseen (Wien), einen Kaiserpalast (Wien), aber auch ein bürgerliches Rathaus (Winterthur) und eine Synagoge (Dresden, ein Frühwerk). Es fehlen interessanterweise Bahnhöfe und Fabriken, aber auch Mietshäuser, Aufgaben, die sich zumal im gründerzeitlich expandierenden Wien aufdrängten; und bis auf das von gusseisernen Stützen getragene Wiener Hoftheater-Kulissendepot alle neuzeitlichen Zweckbauten.

Stilistisch griff Semper fast durchweg auf die Hochrenaissance zurück, die ihm als Kompositstil am flexibelsten für die Bedürfnisse seiner Zeit erschien. Dabei sah er durchaus, scharfsichtiger als seine im Historismus schwelgenden Zeitgenossen, das Ende der überkommenen Stilformen voraus, wenn diese einmal durch „ornamentale Anwendung endgültig zersetzt“ seien.

Andererseits war er kein radikaler Neuerer, wie ihn erst das anbrechende 20. Jahrhundert sehen sollte, und schon gar kein Zerstörer. „Es lässt sich kein Jahrhundert aus der Weltgeschichte streichen“, schrieb er 1845, „und soll unsere Kunst den wahren Ausdruck unserer Zeit tragen, so muss sie den notwendigen Zusammenhang der Gegenwart mit allen Jahrhunderten der Vergangenheit zu ahnen geben.“

Beispielhaft hat er diesen Zusammenhang in Dresden verwirklicht, wo sich sowohl das erste, 1841 errichtete (und 1869 abgebrannte) Hoftheater als vor allem auch die 1855 vollendete Gemäldegalerie in Aufriss und Volumen auf den damals wenig geliebten Rokoko-Bau des benachbarten Zwingers bezogen. In Wien war es ihm ab 1869 inmitten der Stilmaskerade der Ringstraßenarchitektur darum zu tun, die von ihm souverän beherrschte Sprache der Renaissance für die Aufgabe zum einen des Hofschauspielhauses – vulgo Burgtheater –, zum anderen für das wahrlich monumentale Kaiserforum mit den Pendants des Kunst- und des Naturhistorischen Museums sowie dem gewaltigen Doppeltrakt der neuen Hofburg zu nutzen. Allein im republikanischen Zürich, wo er von 1855 bis 1871 den längsten Lebensabschnitt verbrachte, konnte er mit dem – im Äußeren etwas pedantischen – Hauptgebäude des Eidgenössischen Polytechnikums (der heutigen ETH) einen Zweckbau fernab höfischer Repräsentationsbedürfnisse verwirklichen und damit seinen eigenen, demokratischen Idealen entsprechen.

Festliches Kleid

Freilich gehört es zum widersprüchlichen Bild des Architekten, dass seine höfischen Bauten dem Bild der „monumentalen Festlichkeit“ weit eher entsprachen, ja dass Semper mit den späten Wiener Aufträgen an Pracht und Prunk vollenden konnte, was schon nicht mehr in die Zeit der Kommerzialisierung und Trivialisierung aller Geschehnisse passte. Das „welthistorische Ereignis“ als Anlass einer baulichen Verewigung, das Semper vorschwebte, mochte er im klassischen Athen und nochmals in der römischen Kaiserzeit gestaltet finden, doch nicht mehr in einer Gegenwart, die ihre Neuigkeiten per Telegraf und Zeitung verbreitete.

Bleibt die Theorie. Semper begann seine Ausbildung in den Naturwissenschaften; ihrer Empirie blieb er stets verpflichtet. Er forschte, probierte, suchte Analogien in der Natur. Aus der Kulturgeschichte entwickelte er seine „Bekleidungstheorie“ der Architektur, die nicht in der Konstruktion, nicht in der zeitlosen Bewältigung von Stütze und Last die Erklärung fand, sondern in der Geschichte des menschlichen Behaustseins, angefangen beim Herd und dessen Schutz gegen die Witterung. Semper, und darin unterscheidet er sich von zahllosen Historisten, wollte die Konstruktion durchaus nicht verstecken, vielmehr machte er sie ebenso wie den Zweck der einzelnen Bauglieder sichtbar; aber eben nicht nackt, sondern indem er sie abbildete und „bekleidete“. Diese Theorie fand ihre vollständige Negation im 20. Jahrhundert, das die unverhüllte Konstruktion zur Richtschnur machte und die Trennung von Innen und Außen dogmatisch aufhob.

Es mag also die Liebe zum Forschungsgegenstand sein, die die Veranstalter der gegenwärtigen Ausstellung zur Aktualität Sempers greifen lässt. Dass seine Theorie auch heute noch zur Auseinandersetzung zwingt, belegen die Aussagen heutiger Kollegen. Und dass er unter den Architekten zwischen 1840 und 1880, also zur Hochblüte des Historismus, ganz gewaltig herausragt, steht ohnehin nicht in Frage. Im Gegenteil: Die München-Züricher Ausstellung gibt Semper den europäischen Rang zurück, den seine Bauten schon auf den ersten Blick aussprechen.

München, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 29, bis 31. August. Katalog im Prestel Verlag, Großformat, 520 S. m. 631 Abb., br. 38 €, im Buchhandel geb. 75 €.

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