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Premiere in den Kammerspielen: Inflation des Selbst

Futter fürs Ego: „In der Republik des Glücks“ in den DT-Kammerspielen.

Die Berliner Theater haben einen neuen Trendsport entdeckt: das Lifestyle-Bashing. Kürzlich regte sich bereits in Sibylle Bergs Stück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ am Maxim-Gorki-Theater Widerstand gegen „Nerd-Brillen“ und „einen korrekten BMI“. Jetzt ziehen die Kammerspiele des Deutschen Theaters mit dem britischen Dramatiker Martin Crimp nach, der unter dem Motto „In der Republik des Glücks“ genüsslich den gesamten Zeitgeist vom Selbstoptimierungszwang über den Youtube-Exhibitionismus bis zur digitalen Überwachung auseinandernimmt.

Während bei Berg gegen derlei Zumutungen des Lifestyles sarkastisch angeschrien wird, wählt Crimp – bei der Uraufführung letztes Jahr am Londoner Royal Court Theatre heftig umjubelt – ein anderes Stilmittel. Seine Figuren plaudern im Gestus der seligen Überaffirmation vor sich hin. „Künftig werden die Menschen denken dürfen, was sie wollen, und dann werden alle exakt dasselbe denken“, zitiert das DT-Programmheft Andy Warhol. Crimps Figur Madeleine, eine „Frau um die dreißig“, drückt es alltagspraktischer aus: „In die Tiefe gehen? Wozu? Ich bemühe mich nicht mal!“

Leider weiß Rafael Sanchez, der Regisseur der deutschen Erstaufführung, mit diesen kunstvoll kalkulierten Flachsurfern erstaunlich wenig anzufangen. Im ersten Teil, der unter dem knalligen Motto „Zerstörung der Familie“ am Weihnachtsabend spielt, wirft sich eine Durchschnittssippe die üblichen Seelenstrip-Bösartigkeiten um die Ohren. Teeniegirl Hazel (Lisa Hrdina) empfiehlt der schwangeren Schwester Debbie (Natalia Belitski) mit ihrem reizendsten Lächeln eine Abtreibung. Dad (Michael Goldberg) – ein offenbar nicht nur wegen seiner ererbten Schwerhörigkeit vom Leben enttäuschtes Männlein – bekommt sich mit seinem Vater (Christian Grashof) übersprungsmäßig wegen Hörgeräten in die Haare. Und Granny (Margit Bendokat) nervt ihre Schwiegertochter (Judith Hofmann) mit hinterhältigen Fragen nach der Geflügelfüllung.

"Ich muss positiv über meinen Sexualpartner denken"

Sanchez inszeniert diese saisonale Familienzusammenkunft im Fernsehformat. Zwischen Sitzgruppe, überdimensionalem TV-Bildschirm mit leicht verfremdetem Paramount-Pictures-Logo und gläserner Terrassentür (Bühne: Janina Audick) wirkt Crimps Personal wie aus einer Familienserie der achtziger Jahre raubkopiert. Zwecks An-Ironisierung der Figuren übersteuert man leicht den Ton, zwinkert seiner Aussage gern noch mal deutlich hinterher und lässt überhaupt jede Geste eine Spur zu groß ausfallen. Daran, dass hier trotz einer prinzipiell tollen Besetzung viele Pointen versacken, kann noch nicht einmal Onkel Bob (Peter Moltzen) etwas ändern, obwohl er die ganz große Enthüllungskeule schwingt!

Als das Wahrheitsteufelchen Bob dem Rest der Großfamilie mitteilt, wie abgrundtief sie von seiner draußen im Auto auf ihn wartenden Partnerin Madeleine (Franziska Machens) gehasst wird, ist man nämlich in seinem Zuschauerstuhl längst so routiniert nach unten gesackt wie die Adressaten der Dauerbeschimpfungsorgie von Bob in ihrer Sitzgruppe auf der Bühne. Später, im dritten Teil, wird Bob mit Madeleine isoliert in einer schaurigen Glücksdiktatur festhocken, in der er immerfort „Hum hum hum the happy song“ singen muss.

Vorher ist aber erst mal Pause; und danach wird es tatsächlich besser. Martin Crimps zweiter Stückteil, der mit „Die fünf Grundfreiheiten des Individuums“ überschrieben ist, ist eine Art Bewusstseinsstrom 2.0. ohne klare Figuren- oder Situationszuordnungen, aus dem die Schauspieler den Witz treffsicher herausholen. Hier werden universelle Selbstbekenntnisse, therapeutische Erbauungsmantras und weitere bemerkenswerte Zeugnisse der Selbstüberschätzung zum Besten gegeben. Aus dem Weihnachtswohnzimmer ist ein öffentlicher Platz mit Blumenrabatte, Rundbank und Großbildleinwand inklusive Youtube-Material geworden. Und das verbale Repertoire reicht von „Ich bin wütend auf die Katze meines Partners“ bis zu „Ich muss positiv über meinen Sexualpartner denken.“

In diesem Teil des Abends kommt es, namentlich bei der dritten „Grundfreiheit des Individuums“, nämlich der „Freiheit, ein furchtbares Trauma zu erleiden“, zu echten Glanzmomenten. Allein für das Wutbürger-Duett der Ensemble-Ältesten Margit Bendokat und Christian Grashof hat sich die Veranstaltung letztlich gelohnt.

Mit derart subversivem Witz bekommt man das „Menschenrecht“ auf „brennende Harnröhren, chronischen Gewichtsverlust, verminderte Zurechnungsfähigkeit, Schwangerschaftsstreifen, Sexsucht, Morphiumabhängigkeit und Einkaufssucht“ so schnell garantiert nicht wieder um die Ohren gehauen!

Wieder am 10.12., 20 Uhr, sowie am 23. & 26.12., 19.30 Uhr

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