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Kultur: Preußisch-jüdische Geschichte: Ein Synagogenadler namens F. W. Rex

Die großen Preussen-Ausstellungen zum Jubiläumsjahr 2001 thematisieren preußisch-jüdische Geschichte nicht oder nur am Rande in Katalogbeiträgen; verwunderlich ist das nicht. Auch in der Ausstellung "Preußen - Versuch einer Bilanz", 1981 im Martin-Gropius-Bau, versäumten es die Ausstellungsverantwortlichen seinerzeit, dem preußischen Judentum den ihm bedeutungsmäßig zustehenden Platz zukommen zu lassen.

Die großen Preussen-Ausstellungen zum Jubiläumsjahr 2001 thematisieren preußisch-jüdische Geschichte nicht oder nur am Rande in Katalogbeiträgen; verwunderlich ist das nicht. Auch in der Ausstellung "Preußen - Versuch einer Bilanz", 1981 im Martin-Gropius-Bau, versäumten es die Ausstellungsverantwortlichen seinerzeit, dem preußischen Judentum den ihm bedeutungsmäßig zustehenden Platz zukommen zu lassen. Wahrscheinlich sah man es nicht recht ein, oder wollte es vielleicht auch nicht einsehen, dass Juden zur preußischen Geschichte ebenso dazugehören wie die einst ins Land gekommenen Salzburger, Hugenotten oder Niederländer. Walter Grab, der kürzlich verstorbene Tel Aviver Historiker, hat in seiner Autobiographie bissige Bemerkungen über das damalige Konzept gemacht. Der wissenschaftliche Beirat seinerzeit sei in seiner Mehrheit hauptsächlich interessiert gewesen, die "nostalgische Sehnsucht nach verlorener preußischer Größe und Macht" zu bedienen. Entsprechend einseitig sei das Preußen-Bild gewesen, das der Besucher 1981 vermittelt bekommen habe. Man wollte ein fleckenloses Preußenbild, habe beispielsweise nur vorteilhafte Seiten des Preußenkönigs Friedrich II. zeigen wollen, was dadurch geschah, dass man hauptsächlich Friedrich-Utensilien und Memorabilia zusammentrug und liebevoll in Vitrinen arrangierte: Handschuhe, Dreispitz, Reitstiefel, Pistolen, Tabaks- und Schnupftabakdosen, Querflöte, Taktstock sowie ein eigenhändig geschriebenes Notenblatt.

Auch die kürzlich in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses zu Ende gegangene Ausstellung "Preußen 1701. Eine europäische Geschichte" verschenkte die Möglichkeit, die Rolle der Juden in den Anfängen des Preußenstaates gebührend zu würdigen. Auf dem Katalogumschlag und in der Ausstellung wurde zwar eine berühmte allegorische Darstellung gezeigt, das Aquarell mit dem gekrönten preußischen Adler über der Stadt Königsberg, aber nur unzureichend erklärt, wie es dazu kam, dass ein Berliner Schutzjude eine Glückwunschadresse anlässlich der Königskrönung am 18. Januar 1701 schickte. Wenn man bedenkt, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts das jüdische Leben in Brandenburg-Preußen starken Reglementierungen ausgesetzt war, dann verdient diese Huldigungsadresse des Berliners Simon Wolff Brandes besondere Beachtung. Sie belegt, dass diejenigen Juden, die mit ihren Familien 1671 durch ein Edikt des Großen Kurfürsten Niederlassungsrechte im Brandenburgischen erhielten, von großer Dankbarkeit gegenüber den Hohenzollern erfüllt waren. Daran änderte auch nichts, dass der bejubelte Kurfürst und seine Nachfolger sich sehr äußerst ambivalent gegenüber den Juden verhalten haben.

Die Identifikation der Juden mit Preußen ist trotz der Restriktionen, denen sie insbesondere durch das ganze 18. Jahrhundert ausgesetzt waren, ein Phänomen. Jüdischerseits bekannte man sich zu Preußen und sah diesen Staat als Heimat und Beschützer zugleich an, obgleich man wusste, dass er seine Judenpolitik nicht so sehr an der Toleranzidee und dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe, sondern vor allem an steuer- und wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten orientierte. Die Ziele dieser Politik waren klar erkennbar, mit ihr konnte man sich aber auch in irgendeiner Form arrangieren.

Sekundärtugenden? Gelebtes Judentum!

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert definierten sich die Juden in Preußen nicht als "Deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens", wie sonst überall in Deutschland, sondern in Abwandlung dieser Formel als "Preußische Staatsbürger jüdischen Glaubens". Was damit gemeint ist, kann am Selbstverständnis der jüdischen Bevölkerung in Städten wie Berlin und Potsdam festgemacht werden. Deren Mehrzahl fühlte sich als Berliner oder Potsdamer, sondern vor allem als Preussen. Die in Potsdam ansässigen Juden waren patriotisch gesinnt, begeisterte Anhänger des Hohenzollernhauses. In ihrer Mehrzahl fühlten sich den roten Backsteinbauten und der nüchternen Beamtenstadt zutiefst verbunden. Zwischen ihnen und ihren christlichen Mitbürgern gab es so gut wie keinen Unterschied, allenfalls den der Konfession. Auf die Idee kamen sie nicht, dass einmal eine Zeit kommen könnte, in der ihr Bekenntnis zu Potsdam und Preußen nichts mehr wert sein würde.

Die heute von Kritikern Preußens vielfach geschmähten so genannten "Sekundärtugenden" - wie Sparsamkeit, Pünktlichkeit, Pflichterfüllung abfällig bezeichnet werden - sah man in Kreisen des preußischen Judentums nicht als etwas Unjüdisches an, sondern im Gegenteil sogar im Einklang stehend mit von den Vätern überkommenen Geboten und Wertvorstellungen. Preußentum und Judentum wurde als etwas Zusammengehöriges empfunden, als eine Art gelebter Weltanschauung aus den Quellen des Judentums.

Dass so etwas wie eine preußisch-jüdische Symbiose existiert hat, kann sich heute kaum jemand vorstellen. Aber es hat sie gegeben, auch das offen geäußerte Bekenntnis der in Preußen ansässigen Juden zu Preußen und zum Hohenzollern-Thron. Versinnbildlicht wird das zum Beispiel durch die wenig bekannte Tatsache, daß über dem Altar der Potsdamer Synagoge am Wilhelmplatz (heute Platz der Einheit) seit 1768 ein preußischer Königsadler mit dem Namenszug Friedrich Wilhelm Rex angebracht war. An hohen Feiertagen war es in der Potsdamer Synagoge üblich, den Landesherrn ins Gebet einzuschließen: "Herr der Welt und König der Könige, wir beten zu Dir um Deinen Schutz und Deine Gnade, Deinen Segen und Beistand für unseren König und Herrn Kaiser Wilhelm II. Behüte ihn vor jedem Übel und vor allem Leiden. Begnade ihn durch ein hohes glückliches Alter und dass alle seine heilsamen Wünsche in Erfüllung gehen ..."

Bitte keinen verpatzten Porzellanaffen

Wie soll ein Preußen-Museum, eine Preußen-Ausstellung aussehen, das oder die den Anteil der Juden an der preußischen beziehungsweise preußisch-deutschen Geschichte angemessen berücksichtigt? Bevor man anfängt, über mögliche Ausstellungsobjekte nachzudenken, bedarf es zunächst einer Diskussion darüber, welches Preußen-Bild man überhaupt vermitteln will. Ein falsches, sogar verzerrtes Bild entsteht, wenn im Stile borussischer Geschichtsschreibung preußische Geschichte allein als Geschichte des Hohenzollerhauses oder als Abfolge militärischer Feldzüge und Siege begriffen wird. Zweifellos hatte Preußen ein DoppelgesichtHell und dunkel lagen in diesem Staat eng beieinander, dort konnte man abgrundtief reaktionär sein, aber auch modern und fortschrittlich. Da gab es die obrigkeitlich-militärisch-bürokratische Tradition, den säbelrasselnden Offizier, den Monokel tragenden Junker, daneben aber das liberal-demokratische Bekenntnis, das Preußen Kants und der Aufklärung, die Berliner Salons und jene Revolutionäre, die im März 1848 auf den Barrikaden standen und ihr Leben für die Erreichung freiheitlicher Ziele hingaben.

Wo der preußisch-jüdische Aspekt ausgestellt werden soll, darf der Kurator bei der Auswahl der Präsentations-Objekte nicht nur Preußens Glanz und Gloria im Blick haben; er sollte sich bemühen, auch die dunklen Seiten zu thematisieren, das Widersprüchliche, Janusköpfige. Um diese Absicht in Exponatenform zu übersetzen, ist es notwendig, die entsprechenden historischen Kontexte herzustellen: Das ist zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach.

Bei Walter Grab kann man nachlesen, welche Schwierigkeiten der Wissenschaftler als Beiratsmitglied damit hatte, für die Vorbereitungen der Preußen-Ausstellung von 1981 abweichende Akzente zu setzen. Grab machte damals den auf schroffe Ablehnung stossenden Vorschlag, einen der 20 berühmten Porzellanaffen auszustellen, die Moses Mendelssohn anlässlich seiner Heirat mit Fromet Gugenheim von der Königlichen Porzellanmanufaktur zwangsweise hatte abnehmen müssen. Diese mit verzerrten Fratzen versehenen Porzellanaffen, von denen einer in den Depots des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe aufbewahrt wird, sind ein deutlicher Beleg dafür, wie wenig geschätzt die Juden im Preußen Friedrichs II. waren. Die erzwungene Abnahme des KPM-Porzellans war eine Art abgepresster Steuer ("Porzellansteuer"), die erkennen lässt, dass es den Behörden nicht nur um die Ausbeutung der Juden, sondern auch um deren Verhöhnung ging. Ein solcher Affe, meinte Grab, hätte eigentlich sehr gut in Ausstellung hineingepasst. Es gäbe es kein besseres Symbol für die Erniedrigungen und Demütigungen, denen die Juden in der Zeit Friedrichs II. ausgesetzt waren.

Doch in der Reaktion des wissenschaftlichen Ausstellungsleiters auf diesen Vorschlag wurde deutlich, wie die Geschichte Preußens nach wie vor mancher Idealisierung unterliegt. "Sie können doch nicht im Ernst erwarten, dass wir dieses abscheuliche und verpatzte Ausschussprodukt der Berliner Porzellanmanufaktur in unserer Ausstellung zeigen!" Auf Grabs Einwand, mit der Präsentation des Porzellanaffen könne vielleicht doch Bedenkliches über das Preußen der Aufklärung und seine vielgepriesene Toleranz ausgesagt werden, kam die Antwort: "Nein, damit werden wir unsere schöne Ausstellung nicht verschandeln ..."

Die janusköpfige Herausforderung

Wir dürfen also gespannt sein, wie sich künftig wohl das Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (dessen erste Ausstellung ab heute zu sehen ist) der Herausforderung solcher preußisch-jüdischen Januskopfhistorie stellen wird; und auf welche Weise, bei seiner schon lange erwarteten Eröffnung in nunmehr drei Wochen, das Jüdische Museum Berlin.

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