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Arcade Fire bei ihrem Überraschungsauftritt.

© Eric Pamies

Primavera Sound Festival: Euphoriewellen in Barcelona

Frauenpower und Überraschungsgäste beim Primavera Sound Festival in Barcelona: Neben Solange, Grace Jones und The XX spielten auch einige unangekündigte Acts wie Arcade Fire und Haim.

Kreisende Möwen, vorbeiziehende Segelschiffe, frische Meeresluft – das erinnert mehr an Badeurlaub als an ein Musikfestival. Doch das Primavera Sound in Barcelona, das die europäische Festivalsaison eröffnet, ist für viele Besucher beides. Tagsüber liegen sie an den Stränden der katalanischen Hauptstadt. Und wenn die Sonne sich langsam verabschiedet, kommen die Musikfans zum Veranstaltungsort Parc del Fòrum, der sich entlang der Küste erstreckt und eine imposante Industrie-Architektur bietet. Dann wird das Meeresrauschen von der Musik verdrängt.

Das fünftägige Festival, zu dem letzte Woche rund 200 000 Besucherinnen und Besucher kamen, zeichnet sich aber nicht nur durch seinen attraktiven Standort aus, sondern vor allem durch sein gut ausgewähltes Programm. Legenden wie Van Morrison oder die 80er-Ikone Grace Jones treten neben heutigen Größen wie Arcade Fire, The XX oder Aphex Twin auf. Wie genre- und generationsübergreifend Primavera Sound ist, zeigt sich bereits am ersten Abend, als im Ping-Pong der gegenüberliegenden Hauptbühnen die Thrash-Metal-Legenden Slayer mit ihren ohrenbetäubenden Gitarrenriffs auf die sanften und tief melancholischen Töne von Bon Iver folgen. Für die Gruppe um Justin Vernon, die Anfang des Jahres ihre Europa-Tour abgesagt hatte, ist es eines von ganz wenigen Gastspielen auf dem europäischen Festland. Und Vernon enttäuscht nicht. Sein Falsett-Gesang legt sich wie ein Trauerschleier über’s Publikum, das spätestens beim letzten Lied, der Ballade „Skinny Love“ von Bon Ivers Debütalbum, den Tränen nah ist.

Das Festival richtet sich an ein anspruchsvolles Indie-Publikum

Die Macher des Primavera schaffen einen Balanceakt, an dem viele andere Festivals scheitern: Den richtigen Mix zwischen etablierten Musikgrößen und aufstrebenden neuen Acts, die populär genug sind, um einen Hype auszulösen, aber immer noch unbekannt genug, um nicht als Mainstream zu gelten. Das Primavera ist längst kein Nischen-Festival mehr, es bedient aber trotzdem noch welche. Es richtet sich an ein anspruchsvolles Indie-Publikum, dessen Neugier über die üblichen Verdächtigen hinausgeht.

Besonders spannend und prägend sind in diesem Jahr die weiblichen Acts. Und das, obwohl sie auf den vielen Bühnen, die auch überall in der Stadt aufgebaut wurden, in der Unterzahl sind. Die junge Alexandra Savior croont zu Tremolo-Gitarre und Orgelsound, als stünden die sechziger Jahre noch in voller Blüte. Singer-Songwriterin Julia Jacklin präsentiert ihr von den Kritikern gefeiertes Album „Don’t Let The Kids Win“ und erinnert dabei an den ebenfalls vertretenen Indie-Liebling Angel Olsen. Kate Tempest, die Hip-Hop-Sensation aus London, rappt über Selfie-Wahn, Terrorismus und die Klimakatastrophe und trifft damit den Nerv der Zeit und das Publikum genau ins Herz.

Die US-Sängerin Solange bei ihrem Auftritt in Spanien.
Die US-Sängerin Solange bei ihrem Auftritt in Spanien.

© Sergio Albert

Das unumstrittene Highlight des ersten Tages ist jedoch der Auftritt von Solange, die spätestens mit ihrem Meisterwerk „A Seat At The Table“ aus dem Schatten ihrer Schwester, der Pop-Königin Beyoncé, getreten ist. Ihre Show erinnert mehr an Performance Art als an ein Konzert, denn sie zeigt zusammen mit ihrer Band eine ausgefeilte Choreografie. Mit ihren Texten feiert die Sängerin weibliches und schwarzes Selbstbewusstsein, ohne sich dabei in Phrasen zu verlieren oder polemisch zu werden. Ihr Entwurf eines modernen Pop- und R’n’B-Sounds wird frenetisch vom Publikum gefeiert.

Die Haim-Schwestern begeistern zu später Stunde

Etwas abseits der Hauptbühnen tut sich ebenfalls einiges. Bereits im Vorfeld des Festivals wurde gemunkelt, dass der Headliner Arcade Fire ein unangekündigtes Konzert mit neuem Material spielen würde. Am Donnerstag folgt dann die Gewissheit, als die Truppe um Win Butler die eigens errichtete Bühne betritt. Ihre Kleidung ziert der Schriftzug Now oder die Buchstaben EN. Etwas später wird klar warum: Arcade Fire präsentieren ihr neues Album „Everything Now“ und stellen zwei neue Songs daraus vor. Die gleichnamige Single knüpft dort an, wo die kanadische Band vor drei Jahren mit „Reflektor“ aufgehört hat: Indie-Disco – diesmal sogar mit Abba-Piano und Panflötensolo.

Einen Tag später folgt der nächste Überraschungsauftritt: Die schottischen Post-Rocker Mogwai stellen unangekündigt ihr neues Album „Every Country’s Sun“ vor. Und zum Abschluss des Programms der unerwarteten Gäste präsentieren die Haim-Schwestern Songs aus ihrem lang erwarteten zweiten Album mit Titel „Something To Tell You“. Mit seinem von Fleetwood Mac inspirierten Pop sorgt das kalifornische Trio zu später Stunde für Euphorie. Alle Überraschungsgäste betonen ihre Verbundenheit mit dem Festival und man nimmt es ihnen ab. Auf dem Gelände trifft man nicht selten auf Musikerinnen und Musiker, die sich vor oder nach ihrem Auftritt unter’s Fanvolk mischen. Es ist auch für sie der erste große Festivaltermin in Europa und die Vorfreude ist ihnen anzumerken.

Dass das zeitgleich stattfindende Rock- am-Ring-Festival unterbrochen werden musste, war in Barcelona lediglich eine Randnotiz. Immerhin wurden die Einlasskontrollen etwas genauer durchgeführt. Die Unbeschwertheit früherer Festival- Sommer dürfte für viele Popmusikfans jedoch erst mal dahin sein.

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