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Vom Reisen: Martha Gellhorns "Fünf Höllenfahrten"

Fünfhundert Seiten über Reisen durch China, Afrika, die Karibik und Russland in einem flapsig koketten Ton zu schreiben, als würde man am Kaminfeuer augenrollend ein paar Anekdoten erzählen – diesen Durchhaltewillen muss man erst mal aufbringen.

Fünfhundert Seiten über Reisen durch China, Afrika, die Karibik und Russland in einem flapsig koketten Ton zu schreiben, als würde man am Kaminfeuer augenrollend ein paar Anekdoten erzählen – diesen Durchhaltewillen muss man erst mal aufbringen. An Durchhaltewillen hat es Martha Gellhorn nie gemangelt, obwohl man im Fall von „Reisen mit mir und einem Anderen“ leider von verlorener Formulierungsmühe sprechen muss.

Martha Gellhorn, die Kriegsreporterin und dritte Ehefrau von Ernest Hemingway, die 1908 in St. Louis geboren wurde und sich 1998 in Paris das Leben nahm, ist eine der literarischen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Denn sie schrieb nicht nur Reportagen über die Krisenherde dieser Welt, sondern wunderbare Novellen und Erzählungen, die nun, Band für Band, vom Schweizer Dörlemann Verlag herausgebracht werden.

Die Erzählungen handeln meist von unglücklichen Paaren, die entweder in Afrika ihr Glück suchen oder in England in der besseren Gesellschaft mitmischen wollen oder während des zweiten Weltkrieges in das Haus einer skurrilen baltischen Tante verschlagen werden. Gellhorns Sätze haben etwas frisch Sprudelndes, die mit wenigen Strichen skizzierte Welt ist sofort da. Mit emphatischer Fürsorge wie literarischer Gnadenlosigkeit leuchtet sie das komplexe Gebilde aus, das subtile Hin und Her, das man gemeinhin Liebesbeziehung zu nennen pflegt. Bevor die Lebenslügen ihrer Figuren platzen, dürfen sie bei der staunenden Martha Gellhorn aber erst einmal in aller Pracht strahlen.

Man fragte sich beim jubelnden Lesen ihrer Bücher, die „Paare“ oder „Das Wetter in Afrika“ oder „Muntere Geschichten für müde Menschen“ heißen, freilich auch: In welchem Milieu spielen die Geschichten genau, wo liegt die Martha- Gellhorn-Welt? Sie selbst war für unzählige Reportageaufträge bestimmt drei Mal um die ganze Welt gereist, hat zig Male den Wohnort gewechselt, war nie zur Ruhe gekommen, wie es in den „Ausgewählten Briefen“ (2009) nachzulesen ist. Die gleiche örtliche Ungebundenheit zeichnet auch ihre Figuren aus, Herumgekommene, bei denen Abenteurertum und postkolonialistische Überheblichkeit fließend ineinander übergehen. Erdung und Konkretion bekommen die Erzählungen nicht durch die Orte, an denen sie spielen, sondern durch ihre psychologische Genauigkeit. Ihr Herz zappelt irgendwo im Netz der Verstrickung zwischen den Figuren.

Man muss so viel über die Erzählungen sagen, um zu erklären, warum die Lektüre von Gellhorns Reisegeschichten enttäuschend ist, denn natürlich formuliert sie auch in diesen Berichten, die 1978 erstmals erschienen sind, auf blendende Weise. Nur kommt in den Reportagen das Wichtigste an Gellhorns Schreiben kaum vor: das Zwischenmenschliche. Es tauchen zwar viele Menschen auf, aber alle haben nur eine Funktion. Sie erregen den Unwillen und den Abscheu der Reisenden. Sie treten auf, um von der Erzählerin verbal sogleich aus dem Weg geräumt zu werden. Wenn sie Chinesen abhusten hört, muss sie würgen vor Ekel. Und Afrika hält sie kaum aus, weil die Afrikaner für sie so stinken, nach Schweiß und Urin.

Martha Gellhorn liebt zwar das Reisen, weil man dabei mitunter in den „Zustand der Gnade“ gerät, „den man zurecht Glück nennen kann – Körper und Geist in heiterem Gleichklang“. Nur „die Menschen dort liebt sie nicht“, wie Sigrid Löffler es im Nachwort äußerst dezent formuliert. Die Crux dieses Buches ist, dass es sich auf die Enttäuschung beim Reisen konzentriert – „Fünf Höllenfahrten“ lautet der Untertitel –, diese selbstironisch ausstellt (wie naiv war ich doch!), unterschwellig aber auf eine Kumpanei der Überheblichkeit mit dem westlichen Leser spekuliert. Auf die Idee zum Buch kam sie während einer Kreta-Reise. Sie hatte sich so sehr nach dem glasklaren Wasser des libyschen Meeres gesehnt. Und was fand sie? Vermüllte Strände.

Nach diesem Muster sind auch die anderen Geschichten gebaut, eine Afrikadurchquerung etwa oder die Suche nach deutschen U-Booten in der Karibik. Gellhorn inszeniert die Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit und damit – das kann man ihr zugute halten – auch die Diskrepanz zwischen idealisiertem Selbstbild und realen Ansprüchen.

Als toughes Mädchen, mit dem man Pferde stehlen kann, macht sie sich 1941 mit Ernest Hemingway nach China auf, um für eine Zeitschrift über den Chinesisch-Japanischen Krieg zu berichten. Als Prinzessin auf der Erbse findet sie sich wieder. Als arrogante Neue-Welt- Ziege, die über Dreck und Plumpsklos die Nase rümpft, die mangelnden Englischkenntnisse ihres Übersetzers verlacht und keine Ahnung hat, wen sie vor sich hat, als ihr ein Interview mit dem Kommunistenführer Tschou En-Lai vermittelt wird. Wie würdevoll, respektvoll und geduldig sich Hemingway dagegen den jeweiligen Umständen gegenüber zeigt. Als Reisender eben. Und nicht als Langeweileflüchtling mit dem Komfortbedürfnis des Pauschaltouristen.

Martha Gellhorn: Reisen mit mir und

einem Anderen.

Fünf Höllenfahrten. Deutsch von

Herwart Rosemann.

Dörlemann Verlag,

Zürich 2011.

544 S., 24,90 €.

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