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Im Zeichen der Sterne. Europa-Freunde demonstrierten am vergangenen Sonntag auf dem Königsplatz in Kassel.

© imago/Hartenfelser

Pro-Europa-Bewegung "Pulse of Europe": Alle Menschen bleiben Brüder

Die stille Mehrheit soll endlich sichtbar werden: Aktivisten der Initiative „Pulse of Europe“ gehen jedes Wochenende gegen Nationalismus und für Europa auf die Straße.

Erst kam der Brexit, dann Donald Trump, dann beschloss Daniel Röder, dass er etwas unternehmen muss. Im Januar gründete der Frankfurter Rechtsanwalt gemeinsam mit seiner Frau die Bürgerinitiative „Pulse of Europe“. Ziel der Bewegung: noch vor den bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden und Frankreich aktiv zu werden. Gegen die immer lauteren Stimmen von EU-Gegnern wie Geert Wilders oder Marine Le Pen, die sich in die Isolation eines Nationalstaates zurückwünschen. Ein „Reanimations-Kommando“, so nennt es Röder, mit dem das Herz Europas wieder zum Schlagen gebracht werden soll. 200 Menschen kamen zur ersten Kundgebung in Frankfurt, einige Wochen später waren es 2000. Die Kundgebungen finden mittlerweile in über 20 Städten statt, auch in Amsterdam und Paris.

In Berlin versammelten sich am vergangenen Sonntag 1200 Menschen auf dem Gendarmenmarkt. Bis zum 13. März wird „Pulse of Europe“ Demonstrationen organisieren, denn zwei Tage später finden die Wahlen in den Niederlanden statt. „Bleibt bei uns!“ lautet die Botschaft an die Nachbarn. In diversen europäischen Sprachen ziert der Appell Plakate und handgeschriebene Schilder auf den Veranstaltungen. Es gehe darum, sich zu mobilisieren, bevor etwas passiert und nicht – wie im Falle von Trump und Brexit – erst dann, wenn es zu spät ist, so Röder.

Positives Identifikationspotenzial

Die stille Mehrheit solle endlich sichtbar werden. Deshalb werden auf jeder Veranstaltung die Teilnehmer eingeladen, bei einem open mike zu erzählen, warum sie Europa als Bereicherung empfinden. Die Wortmeldungen sind meistens sehr persönlich, oft berührend und vor allem: positiv. Beschimpfungen und Angstschürerei wird hier eine freundliche, hoffnungsvolle Stimme entgegengesetzt. Die Geschichten der Teilnehmer bieten ein alternatives, positiveres Identifikationspotenzial in Zeiten allgemeiner Verunsicherung.

Viele der Anwesenden sind zum ersten Mal auf einer Kundgebung oder ergreifen sogar das Mikrofon. Das überwiegend bildungsbürgerliche Publikum ist erstaunlich heterogen, in Bezug auf das Alter. Nicht selten treffen drei Generationen aufeinander, jede davon mit ihren eigenen Gedanken zu Europa. Die Älteren, die den Krieg selbst erlebt haben oder während der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus aufgewachsen sind, treibt vor allem die Sorge um, die Geschichte könne sich wiederholen.

Einzigartige kulturelle Vielfalt auf engem Raum

„Das erste Mal höre ich von vielen von der Angst, dass es auf europäischem Boden doch wieder zu Krieg kommt, wenn die EU verfällt“, sagt Röder. Junge Menschen betonen bei den Kundgebungen dagegen eher das Gefühl internationaler Freundschaft. Dank der EU genießen sie eine Freiheit, wie es sie noch nie gegeben hat, internationale Vernetzung ist für sie alltäglich geworden. „Sie haben Freunde in Amsterdam, Finnland oder Italien. Sie scheinen sich gar nicht so sehr als Deutsche zu fühlen, sondern eher als Europäer“, hat Röder beobachtet.

Einige erzählen von Erasmus und dem kulturellen Austausch, der durch die Programme ermöglicht wird. „Die kulturelle Vielfalt, die in Europa auf so engem Raum vorhanden ist, ist einzigartig in der Welt. Dass man sich hier frei bewegen kann, ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die es in dieser Form noch nie gab, und eine unglaubliche Bereicherung.“ Das rationale, von der Vernunft geleitete Denken, die Meinungsfreiheit und das Konzept von Demokratie der antiken Griechen, aber auch die Sprache, die politischen Strukturen und die Rechtsentwicklung des antiken Rom prägen uns Europäer bis heute zutiefst.

"Pulse of Europe" wächst weiter

Europa, sagt Röder, müsse eine Vorreiterrolle bei Themen einnehmen, die für die Menschheit relevant sind: Klimawandel, Armutsbekämpfung, Migrationsbewegungen. Nicht nur Initiativen wie „Pulse of Europe“ müssen Druck aufbauen und Erwartungen formulieren, fordert Röder, auch in Brüssel müsste es Reformen geben. Um die „Entkoppelung“ rückgängig zu machen, die in den letzten 20 Jahren zwischen Bürger und Institution stattgefunden habe.

Politiker müssten lernen, die EU auf andere Weise zu vermitteln, damit sie eine Chance auf Fortbestand hat. „Pulse of Europe“ wächst weiter. An diesem Sonntag kommen fünf neue Veranstaltungsorte dazu, darunter Leipzig und Dresden. In Berlin wird es um 14 Uhr wieder eine Kundgebung auf dem Gendarmenmarkt geben: Dieses Mal rückt die Bühne aus einer Ecke des Platzes direkt in dessen Mitte, auf die Freitreppe des Konzerthauses. Dafür ausgesprochen hatten sich Konzerthaus-Intendant Nordmann, Chefdirigent Ivan Fischer und die Gründerin des „Young Euro Classic“-Festivals, Gabriele Minz. Ein Posaunenensemble des Konzerthauses wird die Europahymne spielen, die Ode an die Freude. Mit jeder Note wird es zu hören sein: Das Herz Europas – es schlägt noch.

„Pulse of Europe“ plant einen „Blijft-bij-ons-Flashmob“ in Amsterdam. Am 5. und 12. März soll je ein Vertreter eines EU-Landes ein Plakat präsentieren und in seiner Landessprache kommentieren.

Nina Raddy

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