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Kultur: Prost Mahlzeit

„Ein Inspektor kommt“ im Renaissance Theater

Das Leben ist schuld. Das Wetter und das Fernsehen sowieso. Außerdem, singt der Mann mit dem Hut, seien natürlich noch die Merkel schuld, und der Westerwelle erst recht. Da mischen sich, logisch, die Buhs und Bravos im Renaissance Theater, die Stimmung ist mindestens so bombig wie beim Politiker-Derblecken am Münchner Nockherberg. Guntbert Warns kalauert sich an der Gitarre durch seinen Song, genau so nölig-cool, wie er als Intermezzo-Kabarettist Mordsspottlieder von Georg Kreisler („Schlag sie tot!“) anstimmt. Man hatte zuvor nicht geahnt, dass eine musikalische Revue auf dem Programm stehen würde, angekündigt war John B. Priestleys Klassiker „Ein Inspektor kommt“. Aber der titelgebende Kriminale, den Warns spielt, er kommt hier nicht einfach, er rockt auch. Und alle machen mit. Nach der Pause wirft sich das gesamte Ensemble in ein Medley der schönsten Schnapsverherrlichungs-Songs, ein Prosit der Polizeiarbeit!

Es gibt wahrlich kein Gebot, Priestleys Moralstück bierernst zu spielen. Eigentlich muss man es überhaupt nicht spielen. Die Konflikte, die in diesem zweifach verfilmten Gewissens-Krimi verhandelt werden, sind derart angestaubt, dass der Durst schneller wächst als die Spannung. Inspektor Guhl (im Original: Goole) mischt die Verlobungsfeier einer Familie der besseren Kreise auf, weil ein unbescholtenes Unterschichten-Mädel namens Eva sich das Leben genommen hat. Im folgenden Reihum-Verhör stellt sich heraus, dass jeder der Anwesenden sich an dem armen Ding auf die eine oder andere Art versündigt hat, an der Spitze Lotter-Sohn Erich (Grégoire Gros), der sie, oh Standesschande, schwängerte.

Schleierhaft bleibt, warum Regisseur Antoine Uitdehaag immer wieder Momente plakativer Sozial-Anklage inszeniert, die kein Gewerkschafts-Funktionär besser hinbekäme. Wenn der Pater familias vernommen wird, den Vadim Glowna als zigarrerauchendes Kapitalistenekel gibt, flimmern hinter ihm die Börsennews über die Videowand. Wenn Judy Winter als Mutter Sibylle mit uneinsichtiger Noblesse erklärt, warum sie der Getriebenen die Tür ihres karitativen Vereins vor der Nase zuschlug, weht das feierliche Pathos eines lange totgeglaubten Theaters durchs Haus. Schade, niemand singt dazu. Patrick Wildermann

Wieder 5. bis 9. Oktober, 20 Uhr

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