zum Hauptinhalt

Pulitzerpreis für McCarthy: Alttestamentarische Wucht

Gewalt als Grundkonstante des menschlichen Seins: Der amerikanische Schriftsteller Cormac McCarthy erhält den Pulitzer-Preis

Zwei Meldungen aus den USA, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: Der 74-jährige Schriftsteller Cormac McCarthy erhält für seinen vor kurzem auch in deutscher Übersetzung erschienenen Roman „Die Straße“ (siehe Tagesspiegel v. 12.4.) den Pulitzer-Preis, mithin eine der bedeutendsten Auszeichnungen des Landes. Und am gleichen Tag erschießt ein Amokläufer an der Virginia Tech University 32 Menschen.

Es liegt eine innere Spannung und auch eine fast absurde Logik in dem Umstand, dass die Gewalttat zeitlich zusammenfällt mit der Ehrung eines Schriftstellers, dessen Werk gespickt ist mit detailreichen und manchmal schwer zu ertragenden Gewaltschilderungen. Das Grauen, das McCarthy in der Welt ahnt, manifestiert sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geradezu paradigmatisch.

„So ist aber der Tod und das Sterben der Fünsternüß Leben.“ Diesen Satz des Mystikers und Naturphilosophen Jakob Böhme hat McCarthy seinem 1985 erschienenen Anti-Westernroman „Blood Meridian or The Evening Redness in the West“ (dt. „Die Abendröte im Westen, 1996) vorangestellt. Der Finsternis’ Leben – das ist es auch, was McCarthy in kaum zu überbietender Intensität und literarisch brillant gestaltet. Gleich zu Beginn dieses Romans wird einer der zwei Protagonisten eingeführt, ein Junge, der von zu Hause aufbricht und sich einer Gruppe von Söldnern anschließt: „Die Mutter, seit vierzehn Jahren tot, trug damals das Wesen im Schoß, das sie hinwegraffen sollte. Der Vater sagte nie ihren Namen, das Kind kennt ihn nicht. Der Junge hat eine Schwester, die er nie wieder sehen wird. Er betrachtet den Vater, blass und ungewaschen. Er kann weder lesen noch schreiben; ein Hang zu sinnloser Gewalt brütet bereits in ihm.“ Dieser Hang zur sinnlosen Gewalt bricht sich in „Blood Meridian“ machtvoll Bahn. Die Gruppe des Jungen reitet durch den Westen, der hier in der Tat noch wild ist, und metzelt nieder, was ihr über den Weg läuft.

Unmotivierte Morde, ziellose Massaker: Sie erscheinen bei McCarthy immer wieder als Grundkonstante des menschlichen Seins, als Charaktereigenschaft. Die Bluttat wird zum symbolisch aufgeladenen rituellen Akt – je grausamer das Geschehen, das menschliche Handeln, das McCarthy übrigens in einer Sprache erzählt, die in ihrer Schönheit ihresgleichen sucht, desto deutlicher tritt im Kontrast dazu die Erhabenheit der Schöpfung hervor. Cormac McCarthy ist ein Apokalyptiker von alttestamentarischer Wucht, der den Schrecken zum überzeitlichen Prinzip erhebt und in seinen Büchern gleichzeitig demonstriert, dass der Boden Amerikas, auf dem Freiheit so vermeintlich grenzenlos blüht, mit Blut getränkt ist.

In „Die Straße“ hat sich McCarthys düsterer Blick auf die Welt in einer Atomkatastrophe entladen, nach der nun ein Vater und sein kleiner Sohn durch ein geplündertes Totenreich irren. Auch dieser Roman enthält zahlreiche Szenen, die nichts sind für empfindliche Gemüter – ein ausgeweidetes Baby, das auf einem Spieß über dem Feuer brät (eine ähnliche Szene gibt es auch schon in McCarthys Roman „Draußen im Dunkel“); Überreste von Opfern der Katastrophe, die sich in den Straßenbelag gebrannt haben.

Wer McCarthys Bücher gelesen hat, ist über einen Vorfall wie den in Virginia weder erstaunt noch schockiert. Kein Fernsehbild kann eindringlicher sein als jene Vision, die McCarthy entworfen hat. Insofern ist er fast Realist. Abgesehen davon, dass McCarthy den Preis verdient hat, kommt er zum richtigen Zeitpunkt und ist vielleicht ein Anlass für seinen deutschen Verlag, sich mit McCarthys zum Teil unübersetztem Frühwerk zu beschäftigen. Vor allem der Roman „Child of God“ aus dem Jahr 1973, der die Geschichte eines mordenden Nekrophilen erzählt, könnte weiter dazu beitragen, die Gegenwart zu erhellen – indem ihre dunklen Seiten zum Vorschein gebracht werden.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false