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Kultur: Quadratur des Dreiecks

Das Esbjörn Svensson Trio wird wie eine Pop-Band gefeiert und verschafft dem Jazzpiano eine neue Blüte

Eine der kuriosesten Platten der Jazz-Geschichte beginnt mit einem Wutanfall. Bum-badau bum-badadau poltert der Bass von Charles Mingus viel zu laut in die Stille. Die Saiten schnarren, die Töne rasseln, Mingus legt es darauf an, missverstanden zu werden. Wenn der Bass „das schlagende Herz eines Orchesters“ ist, wie Ray Brown einmal gesagt hat, dann ist dieses kurze Intro, das dem Song „Money Jungle“ die energische, pulsierende Richtung gibt, ein rasendes Herz. Ein vor Eifersucht rasendes Herz.

Am Piano sitzt Duke Ellington. Und obwohl es sein Song ist, scheint er ihn nicht wiederzuerkennen. Seine Hände fallen auf die Tasten wie Ziegelsteine: Mit Blockakkorden, dissonant und grob, hackt der Duke sein eigenes Werk in Stücke, während Mingus sich erlaubt, fünfeinhalb Minuten auf ein und derselben Note herumzureiten. Jede andere Band wäre an so viel Eigensinn und Kommunikationsverweigerung gescheitert. Aber Ellington, Mingus und dem Schlagzeuger Max Roach ist trotzdem ein wunderbares Album gelungen.

„Money Jungle“, im September 1962 an ein paar aufeinander folgenden Tagen eingespielt und jetzt in einer erweiterten Fassung wieder veröffentlicht (Blue Note), wirft ein bezeichnendes Licht auf die Integrationsdynamik von Trio-Besetzungen. Nirgends ist das Versprechen des Jazz so lebendig wie in dieser auf ein Grundgerüst reduzierten Keimzelle einer Band, nirgendwo die Spannung zwischen Einzelinteressen und Ensemblekonvention so problematisch. Keiner kann sich aus einem Dreierbund davonstehlen, ohne das Ganze zu zerstören. Kommt jemand hinzu, verschiebt sich das Gleichgewicht, rastet die übliche Arbeitsteilung zwischen Rhythmusgruppe und Solist ein.

Unsere Vorstellung davon, was ein Piano-Trio sein kann, wird seit geraumer Zeit in einem Stockholmer Probenraum definiert. Drei Herren um die vierzig, Turnschuh- und Jeansträger, entwickeln dort ihre Vision einer entstaubten, vom Swing- und Blues-Kanon entkoppelten Jazzmusik. Ihre Konzerte werden wie Rockshows ausgeleuchtet, an ihren Platten feilen sie mit einer Akribie, wie man sie nur aus dem Pop-Business kennt. „Wir wollen nicht einfach wie die meisten Jazzbands eine Momentaufnahme von dem liefern, was wir gerade spielen“, sagt Esbjörn Svensson.

Mit „Seven Days of Falling“ (ACT) hat sein Trio, das sich knapp E.S.T. nennt und derzeit wie keine andere Jazzband als Pop-Phänomen gefeiert wird, bereits die siebte CD aufgenommen. Dass es ihre beste ist, liegt daran, dass Svensson und seine Mitstreiter Magnus Öström (Schlagzeug) und Dan Berglund (Bass) ihr Reduktionsprinzip immer weiter vorantreiben. Im Schatten von Rockbands wie Radiohead und Tortoise ist ein betörender Minimalismus entstanden, der mit geringen Mitteln hypnotische Effekte erzielt. So meint man ständig, instrumentale Versionen von Popsongs zu hören, deren Texte nur noch nicht geschrieben sind. Eine frei stehende Bassfigur, ein Vierviertel-Takt, ein flirrendes Becken und perlende Akkorde, mehr benötigen die Schweden nicht, um ein Stimmungsbild zu erzeugen, in dem alles möglich scheint. Der Clou ist, dass dann aber nicht alles eintritt, sondern fast nichts.

Sämtliche Stücke werden von Svensson geschrieben und seinen Kollegen zur gemeinsamen Bearbeitung übergeben. Sie suchen nicht die Komplexität, sondern das Simple, das Verständliche, das auch für Ohren nachvollziehbar ist, die nie eine harmonische Zwei-Fünf-Eins-Verbindung gehört haben. Deep Purple, The Police und Jimi Hendrix zählen zu den Einflüssen von E.S.T.. Aber wichtiger ist, dass sich in diesem Trio die Erfahrung einer Generation verkörpert, die Jazz nicht mehr als Emanzipations-Sound erlebt. Freiheit ist kein Versprechen, um das man ringen müsste. Der Freiheiten gibt es umgekehrt zu viele. So lernte der junge Svensson Musik über seinen Vater kennen, einen Ellington-Fan mit beeindruckender Plattensammlung. Seine Mutter versuchte, ihren Zögling für Chopin zu begeistern, doch er interessierte sich für Leute, die Plateaustiefel und hautenge Glitzerkostüme trugen. Eigentlich wollte er Schlagzeuger werden. Doch als sein Sandkastenkumpel Öström vor ihm ein Schlagzeug geschenkt bekam, wich er aufs Klavier aus.

Das intime Einverständnis des Trios gründet in dieser Kindheit. So liegt E.S.T.-Songs die Verabredung von drei Freunden zugrunde, sich so lange und detailliert mit einer Stückidee zu beschäftigen, bis sie die Kontrolle errungen haben, auch über sich selbst. Denn im Resultat, sei es eine Ballade oder eine Drum’n’Bass-Hommage, tauchen sie als Einzelpersonen nicht mehr auf. „Wir arbeiten eigentlich wie eine Popgruppe, die Jazz spielt“, erklärt Svensson. Das macht ihr Spiel auch berechenbar. Improvisationen sind in diesem Kontext Klangmalerei.

Etwas Ähnliches gilt auch für das amerikanische Jazztrio The Bad Plus, das jetzt mit „These are the Vistas“ seinen internationalen Durchbruch erlebt (Columbia). Als „lautestes Piano-Trio aller Zeiten“ wandeln Pianist Ethan Iverson, Reid Anderson am Bass und David King am Schlagzeug auf nicht minder populären Pfaden. So überraschen sie mit schmissig verjazzten „Dekonstruktionen“ von Popklassikern wie Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“, Aphex Twins „Flim“ und „Heart Of Glass“ von Blondie. Und die verwegen blickende Dreierbande aus Minnesota lernte sich ebenfalls kennen, lange bevor sie zur Band verschmolz, um ihre diversen musikalischen Erfahrungen, die von Hard Rock bis Free Jazz reichen, unter einen Hut zu bekommen. Das Resultat ist voller Witz, draufgängerisch, ruppig, ein ständiges Wechselbad.

Im Zentrum steht auch hier das Piano, dessen Dominanz Ethan Iverson nicht leugnet. Doch tritt er mit seinen Partnern in einen viel offeneren Dialog. Seine Wucht, so umwerfend sie ist, gerät nie in Gefahr, sich anzubiedern. Zumal die Musiker sich nicht in Ruhe lassen. Großartig, wie sie über das Ziel hinausschießen, und danach für Momente nichts mehr passiert, weil sie sich sammeln müssen. Das ist Punk.

Trotzdem könnte sich dieser Ansatz bald abnutzen. Er droht, beliebig zu werden, da selbst die Freiheit der Improvisation nur zitiert wird als ein später Reflex auf etwas, das man nur als ein vergilbtes Bild kennt. So geschieht letztlich nicht mehr, als dass Stilelemente der Hitparade auf das Instrumentarium einer Jazzband übertragen werden.

Das war bei Ellingtons Versuch, sich auf zwei Vertreter jener jüngeren Generation einzulassen, für die Jazz ein radikales politisches Statement darstellte, anders. Er, der Großmeister, stand im Zenit seines Ruhms. Eine Lücke zwischen zwei Plattenverträgen nutzte der 62-Jährige dann für Aufnahmen mit Musikern, die außerhalb seines Wirkungskreises standen. Neben Sessions mit Coleman Hawkins und John Coltrane ließ er sich zur Trio-Produktion mit Roach und Mingus überreden – obwohl er den genial-verschrobenen Bassisten einst aus seinem Orchester hatte hinausschmeißen müssen.

„Wir marschierten ins Studio und probten ungefähr zwei Stunden“, erzählte Roach einmal. „Für den nächsten Tag bat uns Duke freundlich, eigene Musik mitzubringen. Dabei wussten wir genau, dass er nie andere Musik spielte als seine eigene.“ Mingus und Roach verehrten Ellington sehr, auch wenn sie über ihn hinauszugehen, zu einer erweiterten Form des freien Spiels zu gelangen versuchten. Besonders für Mingus war Ellington die Bezugsgröße schlechthin, an ihm maß er sein eigenes Lebenswerk. Mit Komplexen behaftet, äußerte sich seine intime Bewunderung in einer umso heftigeren Abwehr, je offensichtlicher die Verehrung wurde. Unter diesen Bedingungen war ihr Projekt eigentlich zum Scheitern verurteilt. Doch gerade der Versuch, das Einverständnis nicht zu groß werden zu lassen, verleiht den Aufnahmen eine intensive Spannung. Ellington sieht seine Kompositionen sich in Luft auflösen. Und nicht nur tut er nichts dagegen, er forciert es sogar, indem er den Geistesblitzen seiner Rivalen sperrige Klangmuster entgegensetzt.

E.S.T. spielen am 18.10. im Berliner Tränenpalast, 20 Uhr, tel. 20610011 .

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