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Quartett des Friedens: Der erste Bär ging an "Die Vier im Jeep"

Den allerersten Goldenen Bären verlieh die Jury dem Schweizer Film „Die Vier im Jeep“. Aber das Publikum fand Disneys „Cinderella“ besser

Auf die Erinnerung ist oft kein Verlass, und sei sie noch so schön. Unter den Auszeichnungen, die sein Film „Die Vier im Jeep“ erhalten habe, seien ihm der Preis der britischen Filmakademie und der Goldene Bär von Berlin am wertvollsten, schrieb 1960 der Regisseur Leopold Lindtberg. Es war, so ergänzt er, „der erste Preis der Berlinale 1950, der durch eine Publikumsabstimmung ermittelt wurde“.

Das ist gleich doppelt inkorrekt, denn die Berlinale hatte ihr Debüt ja erst ein Jahr später, und die Zuschauer entschieden sich keineswegs fürLindtbergs Melodram aus dem besetzten Wien, sondern für „Cinderella“, Walt Disneys Zeichentrickversion des Aschenputtelstoffs, die als „publikumswirksamster Film“ mit dem Großen Bronzeteller ausgezeichnet wurde. Die Bären aber vergab eine Fachjury, die in der Tat dem Schweizer Beitrag „Die Vier im Jeep“ Gold zusprach, in der Kategorie „Drama“. Weitere Goldene Bären gab es wiederum für „Cinderella“ (Musikfilm), „Beaver Valley“, ebenfalls aus dem Hause Disney (Dokumentarfilm), den französischen Gerichtsfilm „Justice est faite“ von André Cayette (Kriminal- und Abenteuerfilm) sowie Jean-Paul Le Chanois’ „Sans laisser d’adresse“ (Komödie), dessen Hauptdarsteller Bernard Blier von Berlins Taxifahrern besonders herzlich begrüßt wurde: Er spielte einen Pariser Kollegen, der mit einem schwangeren Mädchen aus der Provinz dessen treulosen und, wie sich zeigt, verheirateten Liebhaber sucht.

Der allererste Goldene Bär der Berlinale-Geschichte aber wurde für „Die Vier im Jeep“ überreicht, der auch dem in Cinderella vernarrten Publikum überaus gefiel. „Großer Schlussapplaus“, vermerkte der Tagesspiegel, offenbar traf der Film den Nerv der Zeit. „Das Wien von 1950 hat die Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs noch nicht ganz überstanden. Es ist eine besetzte Stadt“ – so beginnt die dokumentarisch gehaltene Eröffnung, die für Berlin kaum anders ausgesehen hätte. In einem aber unterschieden sich beide Städte: Auch Wien hatte seinen amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Sektor, dazu aber die von allen vier Mächten gemeinsam verwaltete Innenstadt, bei monatlich wechselndem Kommando. Nur dort fuhren „Die Vier im Jeep“, waren die Streifen der Militärpolizei im Einsatz, mit je einem Soldaten pro Nation. Es war ein die Realität des Kalten Krieges kaum kaschierender Rest einstiger Waffenbrüderschaft, an dem bis 1955 festgehalten wurde – ähnlich wie in Berlin beim Kriegsverbrechergefängnis und der Luftsicherheitszentrale. Dieses „Minimum von Verständnis“, personifiziert in der Besatzung eines Patrouillenwagens, bildete für Lindtberg „den Kern unseres Films“. Das titelstiftende Quartett erschien ihm als „pars pro toto“, an dem sich die „menschliche Bewährung des Einzelnen“ wie auch die Spannungen zwischen Besatzern und Bevölkerung aufzeigen ließen, bei übrigens versöhnlichem Ende: Sogar der Russe, anfangs stur pflichtversessen, hilft zuletzt einer Wienerin und ihrem aus sowjetischer Gefangenschaft entflohenen Mann – friedliche Koexistenz im Streifenwagen, eine Utopie vor dem Hintergrund des gerade tobenden Koreakriegs.

Gedreht hatte Lindtberg den Film weitgehend in Graz. Nur allernötigste Außenaufnahmen entstanden in Wien, die alliierten Behörden wusste er durch einen Trick abzulenken: Die vier Soldaten trugen „irgendwelche farbigen Fantasieuniformen“, doch mit korrektem Schnitt. Gedreht wurde aber in Schwarz-Weiß. Aus dem Ost-West-Konflikt ließ sich der Film dennoch nicht ganz heraushalten. Wenige Monate vor Berlin lief er in Cannes, sollte das Festival eröffnen, wurde aber eine halbe Stunde vor Beginn verlegt. Erstmals war auch eine Ostblock-Delegation angereist, man befürchtete einen Eklat. Den gab es nun eben am zweiten Tag: Die Russen protestierten, der Film sei antisowjetisch. Erst eine Ehrenerklärung des Festivalkomitees stimmte sie milde.

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