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Kultur: Rabattgesetz: "Verhandeln ist würdelos" - Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba über das Unbehagen der Deutschen

Wolfgang Kaschuba ist Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Kaschuba, zwei von drei Deutschen ist das Handeln, das Feilschen um den Preis, unangenehm; sie schämen sich.

Wolfgang Kaschuba ist Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Herr Kaschuba, zwei von drei Deutschen ist das Handeln, das Feilschen um den Preis, unangenehm; sie schämen sich. Warum?

Zum Thema Online-Umfrage: Werden Sie um jeden Preis feilschen? Sehen Sie sich unsere Geschichte an. Wir haben seit Jahrhunderten die Tradition des festen Preises, da stecken zentrale Vorstellungen von Fairness und Gerechtigkeit drin. Es ging früher darum, die Willkür von Wirtschaft und Herrschaft zu bekämpfen, die sich in Steuern und Preisen ausdrückte. Dagegen wurde der faire, feste Preis gesetzt. Bis in die Zeit des Kaiserreichs hinein war in Deutschland der Brotpreis sogar staatlich festgelegt. Daher kommt unsere Vorstellung vom Preis als etwas Festem, gleichzeitig aber auch als etwas, dass Käufer und Verkäufer ihre Würde bewahren hilft.

Würde bewahren beim Schuhe kaufen?

So ist es. Verhandeln scheint den Menschen würdelos, es ist nahe am Betteln. Verhandelt wird immer in einem ungleichen Verhältnis: Da ist derjenige, der etwas hat, und ein anderer, der quasi unter ihm steht, weil er etwas nehmen will und darum bitten muss.

Und der feilschende Käufer gibt dazu noch preis, dass er auf sein Geld Acht geben muss.

Genau. Die bürgerliche Leitkultur lässt das Geld nicht in den Vordergrund treten. Diejenigen, die es haben, müssen sowieso nicht darüber reden, und die, die es nicht haben, dürfen nicht. Zu all dem Unbehagen am Feilschen kommt hinzu, dass wir es mit anderen Kulturen assoziieren, insbesondere den gering geschätzten in Osteuropa und Asien. Unsere Abneigung zeigt sich schon in der Wortwahl. Zum Beispiel die auf den Berliner Politiker Frank Steffel gemünzte Metapher des Teppichhändlers ist ja nie nett gemeint.

Der Verkäufer beginnt künftig mit einem Eingangsgebot, dass der Kunde aber nicht ernst nehmen darf. Es ist nur zum Spaß gesagt, nur, damit es unterboten wird. Nicht ernst genommen zu werden ist unangenehm.

Ja, mehr noch. Es scheint nämlich andererseits so, als ob uns der Verkäufer betrügen wolle. Eben weil sein erstes Angebot viel zu hoch ist.

Und wir ertappen ihn dabei und das ist uns peinlich.

Wenn wir uns nicht auf das Verhandeln als Spiel einlassen, dann geht es wohl nicht anders: der Verkäufer ist ein Betrüger und der Kunde der Nassauer. Die Preisverhandlung müsste als kulturelles Spiel, als kulturelles Muster gesellschaftlich akzeptiert werden.

Wie soll das gehen?

Wenn überhaupt, dann nur ganz langsam. Die Würde des Produzenten und seines Kunden sind ganz heilige Kühe bei uns.

Wie schafft man es in Zukunft als Kunde, ohne den Zweifel aus einem Laden zu gehen, ob man es richtig gemacht hat? Ob man ein Schnäppchen gemacht hat oder Verlust?

Wahrscheinlich schafft man das nicht. Aber uns werden keine Reichtümer verloren gehen, weil wir auch in Zukunft immer noch ungefähr wissen, was etwas wert ist.

Einkaufen wird Arbeit. Mit dem Verkäufer, der uns bisher in Ruhe gelassen hat, müssen wir uns jetzt auseinandersetzen.

Unser Muster des Einkaufens überhaupt ist dafür nicht gemacht. Mit dem üblich kurzen Zeitaufwand - mal schnell in den Laden rein und rasch an die Kasse - wird es gar nicht erst gelingen, Verhandlungen zu führen.

Herr Kaschuba[zwei von drei Deutschen ist das Han]

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