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Kultur: Radikalenerlass

Jonathan Meese nähert sich Wagner in der Staatsoper

Der Heilige Gral ist ein wundersames Ding. Ursprünglich der Kelch, mit dem das Blut Christi aufgefangen wurde, durchlief dieser begehrteste aller Mythenschätze immer wieder Transformationen. Ob nun ein Stein aus Bluterz oder der Becher eines Tischlers („Indiana Jones und der Tempel des Todes“), wohl kaum ist der Gral je ein so rätselhaftes Etwas gewesen wie in Jonathan Meeses ParzivalPerformance, die am Mittwoch erstmals im Magazin der Staatsoper stattfand. Wobei: Stattfand ist das falsche Wort für einen Vorgang, der sich über fünfeinhalb Stunden Nettospieldauer erstreckte und wie ein endloser Audio-Kommentar zur parallel in der Lindenoper sich abspulenden Generalprobe für Bernd Eichingers „Parsifal“-Inszenierung wirkt.

Meese, umstrittenes Enfant terrible der Kunstszene, dessen überbordene Installationen und grob zusammengeschmierte Gemälde astronomische Preise erzielen, hat sich Großes vorgenommen. Als Auseinandersetzung mit Richard Wagner angelegt, wandelt er drei Akte lang durch den bizarren Requisitengarten eines von Artaud inspirierten Theaters der Grausamkeiten – auf der Suche nach etwas, das der Überwältigungsmacht der Wagnerschen Musik standhalten könnte. Die wird über zwei Lautsprecher in die Szenerie eingespielt und ist, obwohl die Boxen unter der Wucht des Wagnersounds scheppern, ein fulminanter Soundtrack.

Es geht um Macht. Meese unterwirft sich einer Mythenlandschaft, die unser Bewusstsein, trotz aller aufgeklärt-demokratischer Abwehrreflexe, nach wie vor prägt. Anders jedenfalls lässt sich das Unbehagen nicht erklären, das einen beim Anblick eines Mannes befällt, der einem ein Ritterkreuz entgegenstreckt und brüllt: „Das hat mich immer interessiert, absolute Kameradschaft und absolute Freundschaft“; der den Hitlergruß macht, Skelette zertrümmert und eine Phallusfigur so ausgiebig betatscht, dass am grundsätzlichen Charakter dieser Selbstentblößung gezweifelt werden darf. In einen schweren Filzmantel gehüllt oder mit freiem Oberkörper, stemmt er in endlosen Übungen Schwerter, Kreuze und Standarten in die Luft. Das ist kein Selbsterfahrungstrip. Jonathan Meese nimmt in seiner „Propaganda“ übertitelten Wagner-Annäherung die Rolle eines totalen Fans, eines Demütigen ein.

Es fällt leicht, in Meese einen wirren Freak zu sehen. Seine lange Hippie- Mähne, sein irrer Blick und seine mundschäumenden Verwünschungen, mit denen er seine geduldigen Zuschauer beschimpft („Ihr treibt euch doch selbst im Colosseum der Harmlosigkeit zusammen“), unterstreichen es noch. Dabei geht es im Meese-Universum gar nicht um ihn selbst. Nur um eine besonders strenge Auslegung der These, dass Kunst um ihrer selbst willen da ist und „dass wir da nichts mitzureden haben“ (Meese).

Schließlich im dritten Akt hat Meese seinen Privatgral gefunden. Es ist ein fleischförmiges Gebilde (aus Keramik?), das er in die Höhe hält, so lange, dass sein Arm zu zittern beginnt und er unter dem immer größer werdenden Gewicht zu Boden sackt. Wagner verstehen lernen, heißt Schätze zu heben, bis sie weh tun.

Propaganda. Jonathan Meese ist Mutter Parzival: Magazin der Staatsoper, 19. und 28. März, 16 Uhr.

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