zum Hauptinhalt

Kultur: Rätselwesen Supermacht

Ein amerikanischer Linker erklärt Amerika – seinen Landsleuten und dem Rest der Welt: In seinem neuen Buch übt sich Mark Hertsgaard in der Tugend der Selbstkritik und schimpft auf die Arroganz der USA

Wer Mitte der neunziger Jahre mit Abgeordneten des amerikanischen Repräsentantenhauses zu tun hatte, hörte häufiger von ihnen, sie besäßen keinen Pass – und das klang nicht etwa beschämt, sondern stolz. Sogar Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses rühmten sich damit; besonders selbstbewusst provinziell trumpfte die „Class of 1994“ auf, eine junge Truppe neokonservativer Wilder, die Newt Gingrich in den Kongress gebracht hatte. Gingrich, der sich an Bill Clinton die Zähne ausgebissen hat, zählt heute nicht mehr viel, doch die amerikazentrische Sichtweise der konservativen Revolutionäre bestimmt heute die Politik des Weißen Hauses, des Pentagon und selbst von Wall Street.

Dass dies nicht nur ein Horror für das alte Europa und den Rest der Welt ist, sondern den Bürgern der Vereinigten Staaten schadet, behauptet Mark Hertsgaard, vielgereister Journalist aus San Francisco, der anders als die meisten der Weltverbesserer aus Washington D.C. mehrere Jahre im Ausland verbracht hat – man lese nur seine „Expedition ans Ende der Welt. Auf der Suche nach unserer Zukunft“ (Fischer, 1999). In seinem jüngsten Buch beantwortet er nun die nach dem 11. September 2001 oft gestellte Frage, warum Amerika so verhasst ist in der Welt – und zwar ohne die Selbstgerechtigkeit, die in den eingangs zitierten Kreise üblich ist. Seinen ausländischen Lesern ruft er dabei in Erinnerung, dass nicht die Amerikaner pauschale Kritik verdienen, sondern die Bush-Administration, deren illegitime Machtübernahme er nicht vergessen kann.

Zu den positiven Seiten der amerikanischen Gesellschaft zählt die Fähigkeit zur Selbstkritik, die es dennoch nicht an Patriotismus fehlen lässt wie der bei uns verbreitete negative Nationalismus. Über zehn Kapitel empört sich der Autor über den arroganten Unilateralismus der Supermacht, ihre geradezu debile Abhängigkeit vom Konsum, die Einseitigkeit des Wettbewerbs zwischen mittlerweile so gut wie gleichgeschalteten Parteien und die an Propaganda grenzende Fernsehberichterstattung. Für Hertsgaard ist Amerikas Demokratie im Kern verrottet und Amerikas Hegemonie gefährlich für den Rest der Welt, die George W. Bush zwar nicht gewählt hat (anders als de facto immerhin ein Fünftel der Amerikaner), gleichwohl von ihm beherrscht wird.

Wegen dieser globalen Abhängigkeit von amerikanischen Entscheidungen und Unterlassungen wollte Hertsgaard ein Buch für seine Landsleute und zugleich für das ausländische Publikum schreiben: ein Vorhaben, das ihm nicht durchgängig gelungen ist. Häufig wiederholt er nur klischeehafte Behauptungen, und trotz der erklärten Liebe zur investigativen Recherche setzt sich die eigene Argumentation oft nur aus aufgeschnappten Gesprächen, Funden aus der Sekundärliteratur und Zeitungsschnipseln zusammen, ohne dabei auf die Repräsentativität dieser Quellen zu achten und einer Kritik einmal vertieft nachzugehen. Auch bedient sich Hertsgaard einer allzu flapsigen Sprache, so dass am Ende Nebensächlichkeiten hängen bleiben wie die, Beamte des Pentagon hätten Bordellbesuche und Brustvergrößerungen ihrer Freundinnen auf Staatskosten abgerechnet. Eher hätte man sich eine präzise Analyse der Pentagon-Strategie und des Militärhaushaltes gewünscht.

Hertsgaard zählt zur seltenen Spielart erklärter Linker in den USA. Er ist der amerikanische Freund, der einem als Liebhaber Amerikas bleibt, da dessen Regierung so viel Unheil anrichtet. Streckenweise kommt das Buch aber wie eine Suada daher, und deshalb könnte Hertsgaard, der gerade durch Europa tourt, auch der Freund derjenigen werden, die sich immer schon an Amerikas Kulturlosigkeit und Präpotenz ergötzen und immer noch über Bush-Witze lachen. Es mag sein, dass Hertsgaard den ein oder anderen amerikanischen Leser mit ein paar unangenehmen Wahrheiten und unterbliebenen Informationen nachdenklich macht. Dem Rest der Welt „im Schatten des Sternenbanners“ bringt die Kolportage leider nicht die luzide Aufklärung, die jetzt – in einem Moment dramatischer Entfremdung – geboten wäre.

Den Versuch, Amerikas Idiosynkrasien weltöffentlich zu verhandeln, war es gleichwohl wert– gegen Hertsgaards eigene Hypothese, Globalisierung sei nichts anderes als ökonomische und kulturelle Amerikanisierung. Der Journalist teilt sie mit Autoren wie Benjamin Barber oder Gore Vidal. Doch zur Selbstaufklärung der amerikanischen Gesellschaft und des „alten Europa“ gehört auch die Annahme, dass es Ereignisse, Prozesse und Strukturen in der Weltgesellschaft geben könnte, die nicht allein auf Amerikas Supermacht zurückzuführen sind.

Mark Hertsgaard: Im Schatten des Sternenbanners. Amerika und der Rest der Welt. Aus d. Amerikan. von Friedrich Griese, Carl Hanser Verlag, München 2003. 256 S., 19,90 €

Claus Leggewie lehrt Politikwissenschaft in Gießen und war von 1995 bis 1998 Dozent an der New York University.

Claus Leggewie

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false