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Rainald Goetz

© dpa

Rainald Goetz hält Büchnerpreis-Rede: Kolossale Jugend

Liebe, Welt, Wahnsinn: Mit welchen Worten der "kaputte Ich-Spezialist" Rainald Goetz sich für den Erhalt des diesjährigen Büchner-Preises bedankte.

Ach, es muss großartig gewesen sein, als Rainald Goetz in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis in Empfang nehmen durfte. Ganz, ganz viel Liebe war da in der Luft, und ganz viele Liebesbeweise gab es darauf auch in den Feuilletons für den „Ex-Punker“ und „Ex-Raver“ (Süddeutsche Zeitung) in den Feuilletons, die Goetz allerdings sowieso seit Jahr und Tag verehren. Regelrecht aus dem Häuschen geraten sind alle gerade auch wegen des Endes der Preisträgerrede, da Goetz einen Song der Wiener Indiepopband Wanda anstimmte und die Zeilen „Wenn jemand fragt, wofür Du stehst, sag’ für Amore, Amore“ sang.

Von einer ähnlichen „Ergriffenheit“ wie nach Navid Kermanis Gebetsaufruf in der Frankfurter Paulskirche bei der Friedenspreisverleihung war im Nachhinein die Rede. Doch hört man die Aufzeichnung von Goetz’ Auftritt, scheint sich das Auditorium vor allem zu freuen über den Singsang und die „Amore“-Anrufung, ja, in ein gleichermaßen dezentes wie überraschtes, aber auch erleichtertes Lachen auszubrechen. So viel frische Luft auf einmal in der Akademie, so viel Entspanntheit!

Goetz ist jetzt ein Klassiker, ein kanonisierter Autor

Diese abrupte Bewegung zur Liebe hin, zu einer Umarmung der Welt in ihrer reinsten und unschuldigsten Form, die hatte natürlich etwas Besonderes, auch etwas Irres. Und irgendwie musste Rainald Goetz ja auch ein Ende finden mit seiner Rede. Die war einerseits vor allem ein Lobgesang auf die Jugend, aber auch die auf Literatur, andererseits ein grundsätzlich zwar widerstrebendes, aber letztlich anerkennendes Sich-Fügen in die Tatsache, nun zu Klassikerehren zu kommen, kanonisiert zu werden, nicht von Gott, aber doch der Akademie für Sprache und Dichtung mit dem wichtigsten deutschen Literaturpreis ausgezeichnet zu werden. Von einer Akademie, deren „Inbild ihrer Essenz, nahe an der der Literatur, die Totentafel“ sei, wie Goetz es einmal formuliert. Und deren Augenblick kommt, wenn es vorbei ist mit der Jugend des Schriftstellers: „Sie vergesellschaftet die individuelle Kaputtheit, das Ressentiment, die reaktionären Tendenzen im Schriftsteller, der durch seine isolationistische Produktionsweise den Versuchungen des Asozialen besonders stark ausgesetzt ist, auf die Art auch zu interessanten, aber oft auch falschen Resultaten kommt. An anderen Schriftstellern, kaputten Ich-Spezialisten wie man selbst, relativiert sich der eigene Irrsinn.“

Gut vorstellbar, dass es Goetz gejuckt haben muss, mit der Akademie ins Gericht zu gehen, eine Hassrede auf sie zu halten, und dass es ihn für ihn eine Überwindung war, den institutionellen Regeln nachzukommen. „Flammende Zeichen hinter mir, die Buchstaben brennen. Hör auf! Komm mit! Fang an! Jugend!“ So trieb er sich in Darmstadt an, bevor er das Auditorium begrüßte und mit seiner Rede begann: „Der prekäre Akt der gesellschaftlichen Selbstaffirmation, wie er sich in der Preisvergabe ereignet, wird so vielleicht erträglich, durch die Anrufung des Gegenteils“.

Hier die Jugend, also Georg Büchner, dort die Akademie, der Büchner-Preis. Oder auch: Hier Rainald Goetz, der seit seinem Debüt „Irre“ von 1983 für Jugend, Pop, Gegenwart und Revolution steht (Letzteres natürlich mehr auf dem Papier), dort der frischgekürte, 61 Jahre alte Büchner-Preisträger, der „Ja, ich will“ sagt, der die Außenseiterposition der Literatur feiert, ihre Exzentrizität, vor allem aber, was gerade aus dem Munde eines Gegenwartsfetischisten so großartig klingt: ihre Langsamkeit, ihre Dauer, die Zeit, die sie braucht. Und der die Tode beklagt, die sie stirbt, wenn Schriftsteller glauben, „parapolitische Trivialitäten“ äußern zu müssen und als „Selbsterdachtes“ verkaufen.

Doch, es ist beeindruckend, wie Rainald Goetz sein Spannungsfeld ausgemessen hat – und auch wie er bei der Feier der Jugend das eigene Schreiben reflektiert, die Schwierigkeiten, die er seit rund 15 Jahren damit hat: „Das Schreiben altert nicht gut, man sieht es an sich selbst“. Bei so einem Satz wird man auch daran erinnert, dass Goetz fast ein Jahrzehnt nichts zustande bekommen hatte. Und die Veröffentlichung seines Romans „Johann Holtrop“ auch schon wieder über drei Jahre zurückliegt.

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