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Fremde Heimat. In „Katzelmacher“ (1969) spielte Fassbinder einen griechischen Gastarbeiter. Hier mit Doris Mattes, Lilith Ungerer und Hanna Schygulla (v. l.) . Foto: Cinetext

© CINETEXT

Rainer Werner Fassbinder: Mein Fassbinder

Vor 30 Jahren starb das Genie Rainer Werner Fassbinder. In nur 13 Jahren hat der Regisseur 44 Filme gedreht und das Theater revolutioniert. Er war das Kraftzentrum seiner Generation, sein Werk wirkt bis heute nach. Sechs Filmemacher und eine Schauspielerin sagen, was Fassbinder ihnen bedeutet.

CHRISTOPH HOCHHÄUSLER

Viele seiner Filme empfinde ich als Zumutung, sein Verhältnis zur Form als wurstig. Seine Weltsicht ist mir fremd. Und doch beschäftigt er mich mehr als viele andere, auch begabtere Regisseure. Warum? Weil er furchtlos ist. Weil er nicht aufräumt, wenn Besuch kommt. An Fassbinder zeigt sich, dass Genie nicht Begabung ist, sondern Charakter. Der Film ist ihm Werkzeug, die Form folgt (oder auch nicht). Für viele von uns ist die Beherrschung der Mittel ein Schutzschild, die elegante Kamerafahrt ein Alibi, um von eigenen Defiziten abzulenken. Fassbinder interessiert etwas anderes. Sein Kino ist keine Korrektur des Spiegelbilds. Er zieht nicht den Bauch ein. Er will sehen. Er will lernen. Er will weiter.

Er will zum Beispiel verstehen, wie dieses Land geworden ist, was es ist. Wie die Gewalt sich fortsetzt. Welche Rolle die Gefühle spielen. Sein Können genügt dabei selten den Anforderungen. Er begnügt sich nicht mit dem, was er kann. Er arbeitet entlang seiner Neugier, nicht in Formaten oder Genres. Er ist rastlos. Fehler nimmt er in Kauf. Er hat, und dafür muss man ihn beneiden, eine Methode gefunden, alles produktiv zu machen. Die Liebe, den Hass, die Stärken und die Schwächen. Kunst heißt bei ihm nicht, etwas besonders gut zu können (und dieses Können als Besitz auszustellen). Kunst ist vielmehr der Weg zum anderen. „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt.“ Aber sentimental wird er nicht. Er vergisst nicht, nach dem Preis zu fragen. Und er ist bereit, ihn zu zahlen.

Christoph Hochhäusler, 39, hat die Filmzeitschrift „Revolver“ mitgegründet, die gerade eine Fassbinder-Reihe organisiert (siehe Kasten). 2010 hatte sein Film „Unter dir die Stadt“ in Cannes Premiere. 2011 war er einer der drei Regisseure des TV-Spielfilmprojekts „Dreileben“.

Bildergalerie: das Filmgenie Fassbinder

CHRISTIAN PETZOLD

Als ich begann, ins Kino zu gehen, gab es zwei Gruppen. Immer gibt es zwei Gruppen. Gladbach oder Bayern, München oder Berlin. Es gab Wenders oder Fassbinder. Das Kino oder das Theater. Melancholie oder Melodram.

Dann sah ich „Liebe ist kälter als der Tod“. Diese wahnsinnige Fahrt durch die nächtliche Landsberger Straße in München, entlang der Prostituierten des Autostrichs. Die Kameraposition erhöht, keine Augenhöhe, kein Freier ist unterwegs, das Licht streift die Huren und illuminiert sie einen langen Augenblick lang. Das ist Kino. Die Kamerafahrt hat Fassbinder von Jean-Marie Straub bekommen. Sie ist aus dem Film „Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter“. Straub hatte in Fassbinders „antiteater“ das Stück von Ferdinand Bruckner inszeniert – was ein Teil des Films ist. Fassbinder spielt den Zuhälter.

Bei Straub war die Fahrt mit Musik von Bach unterlegt. Die Huren der Nacht fallen zurück ins Dunkle, wenn Kamera und Licht sie gestreift haben. Bei Fassbinder gab es, glaube ich, keine Musik. Es gab keine Überhöhung. Man hatte den Eindruck, dass es da draußen etwas gibt, vor den Toren der Stadt, eine andere Welt, eine andere Seite, eine Gespensterseite. Und die wird uns heimsuchen.

Das Theater und das Kino. Melancholie und Melodram. Einen der schönsten Texte zu Douglas Sirk, den Fassbinder so sehr bewunderte, hat dann Wenders geschrieben. Er nennt Sirk den Dante der Soap Operas. Besser hätte man den großartigen Cineasten Fassbinder nicht beschreiben können.

Christian Petzold, 51, lebt als Filmemacher in Berlin. Für sein jüngstes Werk „Barbara“ gewann er im April die Lola in Silber. 2011 war er einer der drei Regisseure des TV-Spielfilmprojekts „Dreileben“.

ANDREAS DRESEN

Fassbinder kam spät zu mir. In den Kinos der DDR gab es nur „Die Ehe der Maria Braun“. Den Rest leistete das Westfernsehen. „Berlin Alexanderplatz“ in dunkelverrauschtem Schwarz-Weiß auf einem winzigen Campingfernseher. Wäre so etwas im heutigen öffentlich-rechtlichen Programm noch möglich? Einen Großteil des radikalen Fassbinder-Werks gäbe es ohne das damalige Fernsehen nicht. Es war ein expressiverer, düsterer Ton, als ich ihn vom Film im Osten kannte. Ich war fasziniert, gerade durch den Eindruck des Ungehobelten, die Rauheit, den Abgrund. Auch den des Mannes hinter den Filmen. So etwas gab es in der DDR selten, dort herrschte Sicherheit. Die Sicherheit der Fische im Aquarium. Das Meer war anderswo. Fassbinders Geschichten spielten draußen, auf sturmgepeitschter See.

Noch mehr als die Filme wurde er selbst aufregend für mich. Alles brennt. Er MUSS erzählen. Er MUSS drehen. Er MUSS lieben. Er MUSS hassen. Und wird im Gegenzug geliebt und gehasst, mit voller Wucht. Kein gepflegtes Mittelmaß weit und breit. Fassbinder exponiert sich mit Seele und Körper, treibt sich und die anderen. Theater, Film, Hörspiel – das Medium ist egal, wenn etwas zu erzählen ist. Kein Anbiedern an wen oder was auch immer. Kein Filmen aus der kleinbürgerlichen Nische heraus. Keine Angst vor dem politischen Statement. Deutsche Geschichte und Gegenwart sind anwesend in seinen Filmen. Manche roh, radikal, unfertig, schlampig, nicht gezirkelt. Aber man spürt immer den Drang, die Unbedingtheit. Film als Leben, Leben als Film, alles vermischt sich, die Freunde und Partner im Leben sind die Freunde und Partner im Film. Kein Rückzug in die familiäre Idylle. Keine Pause. Keine Sicherheiten. Kein Aquariumglas.

Als ich 37 war, hatte ich sechs lange Filme und ein paar kürzere gemacht. In diesem Alter starb Fassbinder, ein riesiges Werk im Rücken, Liebe, Verrat, Leidenschaft inklusive. Kino geht nicht ohne Wahnsinn, Besessenheit, volles Risiko. Kunst braucht den Abgrund.

Andreas Dresen, 48, lebt in Potsdam. Im April erhielt er für „Halt auf freier Strecke“ die Lola in Gold.

Hans Weingartner hat Probleme mit dem Motto "Schlafen kannst du, wenn du tot bist"

ANGELINA MACCARONE

„Angst essen Seele auf“ war der erste Fassbinder-Film, den ich gesehen habe. Er lief 1977 im Fernsehen und obwohl ich als damals zwölfjähriges Mädchen vielleicht nicht das Zielpublikum war, fand ich mich darin wieder und verstanden in meinem Gefühl, irgendwie „fremd“ zu sein, mit meinem komischen Namen und dem beginnenden Wissen um mein anderes Begehren. Fassbinder war Quereinsteiger, Querdenker, Querschießer und ist für mich Vorbild in seiner sehr persönlichen Art. Filme zu machen, die que(e)r zur Mehrheitsgesellschaft stehen.Die in Berlin lebende Filmemacherin

Angelina Maccarone, 46, dreht Spiel- und Dokumentarfilme. Kürzlich lief ihr Porträt „The Look – Charlotte Rampling“ im Kino.

BENJAMIN HEISENBERG

Die Fassbinder-Verehrung geht mir manchmal auf die Nerven. Ein Großteil der deutschen Filmschaffenden hätte heute überhaupt keine Lust, die Tradition von Fassbinders Arbeit und Stil weiterzuführen. Weit verbreitet ist die Angst vor Filmen, die als zu künstlich, zu theatral, zu intellektuell empfunden werden. Würde heute sein Erbe wiederbelebt, der Schrecken wäre groß. Denn das Verhältnis zum Film als Kunstform ist von Angst geprägt: Angst vor fehlendem Publikum, Angst vor vernichtenden Kritiken, vor dem Unmut der Förderer und Sender, vor Uncoolness und mangelndem Sexappeal. Seit einiger Zeit werden Filme in Arthouse und Mainstream unterteilt. Die Begriffe werden abwertend benutzt oder zur Nobilitierung. Aber mancher Arthousefilm ist mainstreamiger als die sogenannten Blockbuster und vice versa. Fassbinder empfand sich nicht als Künstler. Er und die Leute vom „antiteater“ hatten einfach etwas zu sagen, über Menschen und ihre Beziehungen, über die Gesellschaft, in der sie lebten. Die Zuschauer kamen nicht gerade in Scharen. Erst als Fassbinder als Enfant terrible bekannt wurde, fanden seine Filme ein größeres Publikum.

1978 fragte der Filmpublizist Peter W. Jansen den Regisseur, warum er dem breiten Publikum nach 30 Filmen immer noch unbekannt sei. Fassbinder zeigte sich verwundert über die Frage, meinte dann aber: „Vielleicht weil alles, was ich gemacht habe, sehr privat ist und sehr viel mit mir zu tun hat, aber ich so viel gemacht habe, dass ich es nicht nötig hatte, mit dem Privaten auf eine exhibitionistische Art und Weise umzugehen.“ Interessant: Erstens empfindet Fassbinder es als beleidigend, nach seinem Bekanntheitsgrad gefragt zu werden – als hätte er etwas falsch gemacht. Zweitens verbindet er mit der Möglichkeit, viele Filme zu machen, die Chance, sich als Erzähler nicht exhibitionistisch verhalten zu müssen. Drittens erkennt er, dass das Private und Existenzielle im Kern unkommerziell sind. Ich leite für mich daraus ab: mehr Filme machen, mehr wagen und radikal persönlich bleiben. Fassbinder mag heute als Genie verehrt werden, aber es hat lange gedauert, bis der deutsche Film sich auf seinen Geist der Freiheit besonnen hat. Wir sollten nicht die toten Genies feiern, sondern das Mutige, Sperrige fördern und so sein Erbe bewahren.

Benjamin Heisenberg, 38, stammt aus Österreich. Auch er ist Mitherausgeber der Filmzeitschrift „Revolver“. Auf der Berlinale 2010 lief sein Film „Der Räuber“.

"Mein Fassbinder machte Filme in einem zerrissenen Deutschland"

HANS WEINGARTNER

Mein Fassbinder sagte mir jahrelang: „Schlafen kannst du, wenn du tot bist, Hans.“ Im Gegensatz zu ihm konnte ich dann tagsüber aber nicht mehr arbeiten.

Mein Fassbinder machte drei Filme pro Jahr, ich mache einen alle drei Jahre.

Mein Fassbinder sagte: Man muss den Schauspielern ansehen, dass sie spielen, sonst ist es gelogen. Meinen Schauspielern sage ich zu allererst: Ihr dürft nicht schauspielen.

Mein Fassbinder machte Filme in einem zerrissenen, zertrümmerten Deutschland, das in einer großen Lüge lebte und diese verdrängte. Er musste nur den Vorhang wegziehen und draufhalten. Ich mache Filme in einem saturierten Land, das sich mit Gameshows und Antidepressiva zudröhnt, um dem Möglichkeitsstress zu entfliehen, und in dem es zu jedem Problem schon zehn Filme gibt. Wenn ich den Vorhang wegziehe, ist dahinter alles leer, denn es gibt nur noch den Vorhang.

Mein Fassbinder schrieb das Filmfördergesetz, ich werde vom Filmfördergesetz geschrieben. Es verlangt von mir 1000 Zuschauer pro Minute und Marketingkonzepte und Zielpublikum-Analysen, während mein Fassbinder seine Zuschauer zum Tanz bat.

Mein Fassbinder trug eine Lederjacke und war ein Rebell. Ich trage eine Lederjacke und bin ein Relikt. Mein Fassbinder hatte das Erste und das Zweite Deutsche Fernsehen, es zeigte seine Bilder im Hauptabendprogramm. Ich habe 88 Kanäle und keiner will meine Filme spielen, höchstens um 3 Uhr morgens.

Mein Fassbinder ging in die Fabriken und filmte den Kampf der Arbeiter. Ich nehme die Kamera und gehe in den Wald. Und glaub’, das fänd’ er gut.

Hans Weingartner, 41, ist in Österreich geboren und lebt in Berlin. Im Februar kam sein Psychodram „Die Summe meiner einzelnen Teile“ ins Kino.

BRIGITTE HOBMEIER

Seinen Blick auf Menschen, auf die Komplexität von Charakteren findet man heute kaum noch. Dass in einer Figur alles steckt, das hat Fassbinder den Menschen zugetraut und den Schauspielern auch. Bei ihm schillern sie wie Diamanten. Seine Drehbücher entfalten auch auf der Bühne große Strahlkraft. In der Reduziertheit und Klarheit seiner Sätze trifft er messerscharf, mehr als viele heutige Filme und Theaterstücke. Das Drehbuch zu „Die Ehe der Maria Braun“ stammte ja von Peter Märthesheimer, Fassbinder hat es bearbeitet. Als Maria ihren Herrmann wiedertrifft, ist das bei Märthesheimer eine lange Szene, bei Fassbinder nur ein kurzer Dialog. Er: Wir haben uns noch nicht geküsst. Sie: Ja, das haben wir noch nicht. Hast du Angst? Er: Ja. Sie: Ich hab auch Angst. Zack, vorbei, darin kulminiert alles. Fassbinder hat auch einen unschlagbaren Witz: Allein wie Ingrid Caven in „Satansbraten“ als Diva vor den Spiegel steht und sich dabei am Hintern kratzt! Das Ordinäre und das Intellektuelle, das Vulgäre und das Divenhafte liegen bei ihm direkt beieinander.

Ich habe übrigens von ihm geträumt. Er rief mich an, er sagte: Hallo, hier ist Rainer Werner Fassbinder. Als er dann auch noch sagte, dass er seinen nächsten Film mit mir drehen will, stockte mir erst recht der Atem. Natürlich war ich begeistert und sagte: Das ist ja genial, wissen Sie, ich war so dumm zu glauben, sie seien schon tot. Und jetzt rufen Sie mich an, ist ja Wahnsinn. Darauf bekam Fassbinder am anderen Ende der Leitung einen seiner berühmten Wutausbrüche: Wie ich nur auf die Idee kommen könnte, er sei tot! Am Ende hatte er sich so in seine Tirade hineingesteigert, dass er sagte, ich dürfe nun doch nicht mitspielen. Was für ein Traum: Mir war nicht klar, dass er noch lebt! Brigitte Hobmeiers Text hat Christiane Peitz aufgezeichnet.

Die Schauspielerin, 36, ist Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele. In Thomas Ostermeiers Adaption von „Die Ehe der Maria Braun“ (2007) spielte sie die Titelrolle. In Stefan Puchers RWF-Stück „Satansbraten“ ist sie zurzeit in einer Doppelrolle zu sehen.

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