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Daniel Harding und Wolfgang Rihm in der Berliner Philharmonie.

© Peter Adamik

Musikfest Berlin: Rausch und Ritual

Zittern, Bellen, Zucken: Das Musikfest eröffnet mit Wolfgang Rihms Poème dansé „Tutuguri“.

Er hat sichtlich den Schock überwunden, der ihn übermannte, als er zum ersten Mal wieder mit diesem gewaltigen Frühwerk konfrontiert wurde. Nach der Aufführung von „Tutuguri“, mit der das Musikfest 2016 offiziell eröffnet wird, legt Wolfgang Rihm jedem der sechs Solo-Schlagzeuger nacheinander die kräftigen Arme auf die Schultern. Erleichterung, in die sich auch Stolz mischt. Auf dem anschließenden Empfang meldet sich Rihm sogar zu Wort: „Wer von Ihnen kann sich ein zeitgenössisches Kunstwerk leisten?“, fragt er listenreich. Zweieinhalb Arme recken sich zögerlich in die Höhe. „Sehen Sie“, sagt der Großkomponist in schwelgerischem Tonfall, „Musik kann sich jeder leisten, sie gehört niemandem.“

So einen Auftakt-Coup kann man nicht planen, aber man kann ihn planend erhoffen. Musikfest-Chef Winrich Hopp animiert dazu, die Musikgeschichte weder aus Sicht des Kanons noch als Reihung von Uraufführungen zu betrachten. Denn beides läuft Gefahr, folgenlos zu bleiben. Die Wiederbegegnung aber mit sperrigen Stücken, die im Konzertalltag selten erklingen, ist zum Markenzeichen des Musikfests geworden. Das rare Live-Erlebnis zum Auftakt dieser Saison liefert Rihms 1982 an der Deutschen Oper uraufgeführtes Poème dansé „Tutuguri“. Der Komponist war damals gerade 30 Jahre alt, sein von Antonin Artaud und dessen Theater der Grausamkeit inspiriertes Bühnentoben schlug mächtig Wellen. Artaud, der mit Drogen vollgepumpte Schmerzensmann, wollte die Zuschauer befreien und ruft uns zu: „Ein für allemal genug der Äußerung einer in sich abgeschlossenen, egoistischen und personalistischen Kunst.“

Mexikanische Indiokulte fressen sich durchs Orchester

Das ruft nach Entgrenzung, nach Rausch und Ritual – und Rihm ist diesen Rufen in „Tutuguri“ ohne ernstzunehmende Widerstände gefolgt. Mexikanische Indiokulte samt halluzinogenen Kakteen liefern den ruhelosen Triebsatz, der sich durchs Orchester frisst. Nie zum Stillstand kommen, immer wieder Schwung holen, das Verflüssigen alles in Stein Gehauenen – es gelingt Rihm zunächst erstaunlich unterhaltsam. Ein Moment des kalkulierten Grauens ist dem Konzert vorangestellt, wenn der Schauspieler Graham F. Valentine Artaud rezitiert, nein, eher zittert, bellt, zuckt. Eine Ekstase des schaurigen Leidens, die Rihms Musik wesensfremd bleibt.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter dem umsichtigen Daniel Harding spielt „Tutuguri“ engagiert, doch ohne markante Klangfantasie. Die Gewalt der Komposition bleibt eng umrissen. Nach der Pause dann noch eine halbe Stunde Schlagwerk pur, vom Holzhammerschlag bis zu gleißenden Tamtam-Wellen. Die Philharmonie als idealer Ort. Das Werk eine Fußnote zu dem, was andere für Percussion geschaffen haben.

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