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Kultur: Reality auf Rädern

Der Formel-1-Film „Rush“ mit Daniel Brühl als Niki Lauda will spannender sein als echter Sport. Wahrer macht ihn das nicht.

Von Christian Hönicke

Gute Sportfilme sind rar. Der Wettkampf und die Emotionen sind schon aufregend genug, und bei dem Versuch, alles für die große Leinwand noch spannender zu machen, driften die meisten Regisseure zielsicher ins Klischeehafte ab. Gute Rennsportfilme sind noch rarer, weil die Komponente Gefahr hinzukommt und zu noch mehr Pathos verleitet.

Niki Lauda kennt kein Pathos, er ist eher Zyniker. Dieser Mann hat alles gesehen, alles erlebt. Sein Gesicht wurde versengt im Benzinfeuer, er rang mit dem Tod und wurde dennoch dreimal Weltmeister in einer der gefährlichsten Sportserien der Welt, der Formel 1. Mindestens 20 Mal habe er Anfragen erhalten, seine Story für eine Kinogeschichte herzugeben, sagte Lauda unlängst. Bei „Rush“ sagte er schließlich ja. Im Zentrum des Films von Oscar-Preisträger Ron Howard mit Daniel Brühl in der Hauptrolle steht die Formel-1-Saison 1976, in der Lauda auf der Nordschleife des Nürburgrings seinen berühmten Feuerunfall hatte. Die Saison fand ihren Höhepunkt bei strömendem Regen am Fuße des Fuji in Japan, als der versengte Lauda kurz nach dem Start ausstieg und erklärte: „Mein Leben ist mir wichtiger als die Weltmeisterschaft.“ Den Titel in dieser Saison verlor er mit einem Punkt an den Briten James Hunt.

Das ist dramatischer Stoff, aber offenbar ist er für Hollywood noch nicht dramatisch genug. So bilden die Rennen zwar den originalgetreuen Rahmen, teilweise werden authentische Filmaufzeichnungen verwendet. Doch bei der Handlung drumherum hat Drehbuchautor Peter Morgan das Label „Basierend auf einer wahren Geschichte“ ziemlich freizügig ausgelegt. Überraschend ist das deshalb, weil der grundpragmatische Lauda selbst beim Drehbuch mitreden durfte. Doch der Österreicher ist eben nicht nur ein Mann der klaren Worte, sondern auch geschäftstüchtig genug, um zu wissen, dass eine Unwahrheit hier und da im Sinne der Unterhaltung verkaufsfördernd sein kann. „Du darfst den Film nicht mit den Augen eines Rennfans sehen, der die Geschichte kennt“, sagt Lauda.

Die schlimmsten Peinlichkeiten hat er immerhin verhindert – die Formel-1-Autos werden im Film jetzt korrekt per Knopf gestartet und nicht per Zündschlüssel. Aber um dem inoffiziellen Titel als Niki-Lauda-Film gerecht zu werden, sind es dann leider doch ein paar Unwahrheiten zu viel geworden. Etwa die frei erfundene Szene, in der James Hunt alias Chris Hemsworth einen Reporter verprügelt. Oder Laudas Versuch bei der Fahrerbesprechung vor seinem Unfall, das Rennen auf der Nordschleife zu canceln – gegen den Widerstand seines Konkurrenten Hunt. Das mag man im Sinne der Dramatisierung noch gelten lassen, nicht aber, dass Hunt und Lauda als erbitterte Feinde dargestellt werden. In Wahrheit waren sie bis auf ein paar Kontroversen gut befreundet. Und einander weit ähnlicher, als es Drehbuchautor Morgan mit seinem zum Workaholic überzeichneten Film-Lauda glauben machen will. Der echte Lauda zog mit dem Playboy Hunt gern um die Häuser.

Morgan gibt zu, den Konflikt und die Bitternis übertrieben zu haben. Überhaupt seien fast alle Szenen seiner Fantasie entsprungen, fast immer habe er Lauda dazu überreden müssen. Nach der simplen Hollywoodlogik: „Man kann das Leben nicht so verfilmen, wie es ist.“ Und weil sich Lauda nach anfänglichem Sträuben recht häufig überreden ließ und der inzwischen verstorbene Hunt kein Veto mehr einlegen konnte, mutiert eines der dramatischsten Sportereignisse der Geschichte zur Scripted Reality auf Rädern. Es liefert im Grunde nur den Hintergrund für eine weitere Good-Guy-Bad-GuyStory, diesmal eben im Formel-1-Gewand.

Das ist schade, denn Ansätze für einen halbwegs authentischen Sportfilm sind da. Herausragend ist Daniel Brühl, der den knurrig-bissigen Lauda mit großer Präzision spielt. Laudas Singsang und die angriffslustige Körpersprache trifft er genau. Einen besseren Lauda hätte nicht einmal das Original spielen können.

Auch die lässige Atmosphäre im Fahrerlager dieser Zeit gibt „Rush“ treffend wieder, zudem wurde eine Vielzahl an Formel-1-Wagen nachgebaut. Wenn die Wagen ins Rollen kommen, bewegen sie sich allerdings über merkwürdige Schauplätze. Natürlich lassen sich alte Rennstrecken oft nicht reaktivieren, aber dass dem Publikum, zu dem ja etliche Formel-1-Zuschauer gehören dürften, eine englische Rennstrecke als der weltbekannte Kurs von Monza verkauft werden soll, wirkt doch ziemlich albern.

Mit reichlich Hektik und immerhin beeindruckenden Helmaufnahmen will Regisseur Ron Howard auf der Strecke punkten. Letztlich hat er auf diese Weise jedoch nur ein schnell geschnittenes Musikvideo inszeniert, einschließlich comichafter Überholmanöver mit Blickkontakt, bei denen mitunter gerempelt wird wie bei „Ben Hur“. „Rush“ setzt keine neuen Standards, kann noch nicht einmal den Filmklassiker „Grand Prix“ überholen, der fast ein halbes Jahrhundert alt ist. 1966 hatte John Frankenheimer mit Kameras ausgestattete Wagen in echte Rennen geschickt – Aufnahmen, die bis heute Kultstatus genießen.Christian Hönicke

In 19 Berliner Kinos; OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Alhambra, Karli, Rollberg und Titania Palast

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