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Kultur: Rebellieren lernen

Es war ein staunenswertes Spektakel. Da reist ein würdiger älterer Herr aus Athen in die Hauptstadt der Europäischen Union, deren Oberhäupter sich seinetwegen dort versammelt haben, was sie allerdings nicht zugeben.

Es war ein staunenswertes Spektakel. Da reist ein würdiger älterer Herr aus Athen in die Hauptstadt der Europäischen Union, deren Oberhäupter sich seinetwegen dort versammelt haben, was sie allerdings nicht zugeben. Er ist der größte Bittsteller seit der Geburt der gemeinsamen Währung und ist gekommen, um für sein Land die nächste Tranche eines bereits bewilligten Rettungspakets von 120 Milliarden Euro frei zu machen und ein weiteres Paket von gleichen Dimensionen auf den Weg zu bringen.

Aber dieser Herr wird von den Regierungschefs nicht etwa mit jener gezwungenen Freundlichkeit begrüßt, wie sie jeder Kreditnehmer erlebt, wenn er bei seiner Bank um einen weiteren Aufschub für seine Ratenzahlungen und um neues Geld bittet – nein, er wird mit sichtlicher Erleichterung empfangen. Man schüttelt ihm die Hände, schlägt ihm auf die Schulter, überhäuft ihn mit Komplimenten, die Gesichter drücken, soweit Politikern dies möglich ist, schiere Sympathie, ja sogar Glück aus. Man feiert ihn wie einen Helden, einen Retter. Aus welchem Grund? Weil er ein Vertrauensvotum seines Parlaments gewonnen hat, das seinen Gastgebern gestattet, weitere Rettungsmilliarden für sein Land zu bewilligen.

Das Ballett in Brüssel wiederholte sich mit kleineren Besetzungen in Berlin, Paris und an anderen Orten, als der griechische Ministerpräsident Papandreou mit knapper Mehrheit die beiden Abstimmungen über das ihm von den Gebern aufgenötigte Sparpaket gewann. Die deutsche Bank, die Commerzbank und Goldman/Sachs machten an der Börse Freudensprünge, Angela Merkel sprach von einer „wirklich guten Nachricht“ und wirkte dabei fast so fröhlich wie nach dem Tod von Osama Bin Laden. Nur das Publikum in Griechenland und in den Geberländern schien die freudige Botschaft nicht ganz zu verstehen und fragte sich, was denn eigentlich das Gute an der Nachricht sei. Die Steuerzahler in den Geberländern starrten halb empört, halb verständnisvoll auf die angeblich Begünstigten des Empfängerlands, die vor dem Parlament randalierten und das Finanzministerium anzündeten.

Tatsächlich verbindet beide eine einfache Beobachtung, zumindest eine Ahnung: Man sieht immer größere Summen nach Griechenland wandern. Aber diese Summen kommen nicht etwa der maroden Wirtschaft und der fälligen Modernisierung des Landes zugute, sondern werden postwendend und mit hohem Zinsaufschlag an die privaten Besitzer griechischer Anleihen überwiesen. Es ging nie um die Rettung Griechenlands, es ging wieder einmal darum, die europäischen Banken und Versicherungen, die sich an den hochriskanten, aber zinsträchtigen griechischen Staatsanleihen überfressen hatten, mit dem Geld der Steuerzahler zu retten. Im Falle der Verweigerung, hat der plötzlich grün gestimmte Bankchef Josef Ackermann gesagt, drohe eine „Kernschmelze“ – eine Kettenreaktion der Finanzmärkte, an deren Ende der Euro in Rauch aufgehen werde.

Überlassen wir den Experten den Streit darüber, ob diese Voraussage realistisch oder Panikmache ist. Die Frage bleibt, wie lange es die Führer des größten Wirtschaftsraums der Welt noch hinnehmen, dass sie von Großbanken, Hedgefonds und großen Spekulanten erpresst werden. Sie handeln und entscheiden nicht, sie sind Getriebene. Und sollten nicht auch die geschröpften Steuerzahler der Geberländer von den rebellierenden Griechen etwas lernen?

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin. An dieser Stelle schreibt er regelmäßig über Kultur und Politik.

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