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Noch ohne Kunst: Zellentrakt im alten Gefängnis Wittenberg.

© Martin Jehnichen/Promo

Reformationsjubiläum: Ausstellung "Luther und die Avantgarde": Kunst im Knast

Das Ausstellungsprojekt "Luther und die Avantgarde" versammelt 2017 rund 50 Werke zeitgenössischer Künstler in Wittenberg, Berlin und Kassel.

Ein zarter Duft von Räucherfisch hängt im Kirchenschiff, als am Donnerstag in der Berliner St. Matthäus-Kirche das nächste Großereignis des evangelischen Riesenevents „Reformationsjubiläum 2017“ vorgestellt wird. Und zwar in der von zahlreichen Kuratoren, Künstlern und Kulturfunktionären offensichtlich gern frequentierten Form eines „Luther Lunchs“, also bei Wittenberger Bier, Rote-Bete-Salat, Roastbeef und Forelle „wie zu Luthers Zeiten“, wie Kurator Walter Smerling, der Chef der federführenden Stiftung für Kunst und Kultur, zur Begrüßung sagt.

„Luther und die Avantgarde“ heißt die vom 18. Mai bis 17. September (Infos: www.luther-avantgarde.de) kommenden Jahres im Alten Gefängnis von Wittenberg laufende Ausstellung. Und schon der Blick auf die 62 Namen umfassende vorläufige Teilnehmerliste spricht von der zu erwartenden Strahlkraft: von A wie Ai Weiwei und Alexander Kluge bis Z wie Zhang Huan über Ólafur Elíasson, Isa Genzken, Markus Lüpertz, Jonathan Meese, Andreas Slominski und Günther Uecker. Ergänzt wird die Wittenberger Schau mit einer von Shilpa Gupta bestrittenen Außenstelle in Kassel und von den erklärten, britischen Kirchenkritikern Gilbert & George, die hier in St. Matthäus auf dem Kulturforum in einer Bilderserie das Thema „Sündenbock“ reflektieren wollen.

Der neben seinem alten Lehrer Bazon Brock an der langen Tafel sitzende österreichische Bildhauer Erwin Wurm, dem jüngst erst die Berlinische Galerie eine große Ausstellung widmete, ist mit der Themensuche für seinen Beitrag angeblich noch nicht so weit. Er sei sofort von dem Projekt fasziniert gewesen, teilt er mit, aber mehr auch nicht. Jan Zappe von „robotlab“ dagegen berichtet flüssig vom vollautomatischen „Bibelschreiber“, den die Künstlergruppe in Wittenberg zeigen wird. Und Ästhetikprofessor Brock, der in Berlin-Kreuzberg die „Denkerei“ betreibt, übernimmt im Gefängnis an 40 Tagen zweimal täglich eigenhändig die Besucherschulung.

Bald Ausstellungsort: das alte Gefängnis in Wittenberg
Bald Ausstellungsort: das alte Gefängnis in Wittenberg

© Martin Jehnichen/Promo

Die Idee, sich mit den Themen des „soziokulturellen Avantgardisten“, wie Walter Smerling Luther nennt, auseinanderzusetzen, sie in die Gegenwart zu transponieren und Luthers Widersprüchlichkeiten aufzugreifen, habe ein überwältigendes Echo gefunden. „Wir hätten 150 Gefängniszellen füllen können“, sagt André Schmitz, der dem Ausstellungsbeirat vorsitzt. Tatsächlich verfügt der Exknast, der gerade für den „Einzug“ der ersten Künstler im Februar baulich hergerichtet wird, nur über 45 Zellen.

Erklärte Absicht ist es, mit „Luther und die Avantgarde“ den zahllosen historischen Darstellungen des Reformators und seiner Epoche einen nach vorne gerichteten Blick zuzugesellen. Oder, wie es die anwesende „Luther2017“-Botschafterin Margot Käßmann ausdrückt: „Kunst und Kultur schlagen eine Dialogbrücke zwischen der Kirche und der säkularen Welt.“ Der Evangelischen Kirche (EKD) ginge es im Jubiläumsjahr nicht nur um die Retrospektive. „Wir wollen auch eine Auseinandersetzung darüber, wo Kirche, Kunst und Kultur im 21. Jahrhundert stehen.“ 2,5 Millionen Euro des sich nach Angaben von Ulrich Schneider, dem Geschäftsführer des Vereins „Reformationsjubiläum 2017“ auf rund vier Millionen belaufenden Projekts trägt denn auch die EKD. Das reicht für mehr als Butter bei die Fische.

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