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Kultur: Regentänzer

Perfekter Glanz: Tim Fischer im Berliner Tipi

Eigentlich müsste man ihm böse sein: Während die Stadt noch gierig den letzten Abglanz nachsommerlicher Sonnenstrahlen einsaugt, hat Tim Fischer nichts Besseres zu tun, als schon hartnäckig die dunkle Jahreshälfte heraufzubeschwören. Ausgerechnet um „Regen“ geht es in seinem neuen Programm, und schon zur Intro prasseln die Tropfen aus den Boxen des Tipi am Kanzleramt, ist die Bühne zu Ludwig Hirschs Sarg-Chanson „I lieg am Rucken“ in künstliche Novembernebel gehüllt (noch bis 13.10.). Doch wer könnte Tim Fischer für dieses Programm böse sein? So souverän, so locker, so strahlend war er noch nie – der Dauerregen der gut 30 Chansons hat offenbar einen kreativen Wachstumsschub bewirkt.

Der Bogen ist weit gespannt: Natürlich ist Dalidas „Am Tag, als der Regen kam“ mit dabei, natürlich auch die klassischen Chansons und Operettennummern von Benatzky, Hollaender, Kreisler und Co. Eben alles, was einem zum Regensingen so einfallen kann, bis hin zu Thomas Pigors „Regen in Berlin“. Für Fischer sind das 30 Gelegenheiten, seine schier unerschöpfliche Wandlungsfähigkeit zu zeigen. Ob als androgyner Cabaret-Conferencier, als Nachtclub-Luder im glitzernden Gazeschlauch oder als Volksmusikerin – in jedem dieser Kostüme scheint er sich gleich wohlzufühlen. Ein Könner war er schon immer, doch die selbstverständliche Perfektion, mit der Tim Fischer diesen Abend absolviert, ist schier atemberaubend: Jedes Lied hat eine eigene, unverkrampfte Pose, einen eigenen Tonfall, der es von den Vorlagen ablöst und zu einem Tim-Fischer-Chanson macht: Hier dämpft er das Mokante ins Abschätzige, dort lässt er mit vollem Bariton nicht nur Regen, sondern auch Herzblut tropfen. An diesem Abend stimmt wirklich alles: vom inneren Rhythmus des Programms über die Kostüme und die raffinierte Lichtregie bis zur prachtvollen Band (mit dem Original Gerd Thumser als Kabarett-Juwel), die mit stilsicheren Arrangements den Rahmen für Fischers Verwandlungskünste schafft. Und am Ende wünscht man sich nichts so sehr wie – Regen.

Jörg Königsdorf

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