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Regisseurin Shirin Neshat: "Kino ist ein Grundnahrungsmittel"

Regisseurin Shirin Neshat über den Tschador, die Zensur und persische Mystik.

Frau Neshat, Sie sind im Iran aufgewachsen, leben aber in den USA. Wo fühlen Sie sich als Künstlerin zu Hause?

Meine Arbeit ist in der Kultur und Poesie des Iran verankert. Aber ich habe im Westen studiert und deshalb auch eine eurozentristische Sicht auf die Kunst. Mein Film borgt sich genauso viel aus der iranischen Kultur wie von Tarkowski oder aus der christlichen Symbolik.

Sie arbeiten gern mit Metaphern …

Wir fühlen uns in dieser Form von Poesie zu Hause, weil wir über so lange Zeit zensiert wurden. Iraner nutzen Bilder, Allegorien und Symbole, um das auszudrücken, was sie nicht direkt sagen dürfen.

Die drei Frauen finden in einem Garten Zuflucht. Gibt es im heutigen Iran für Frauen solche Rückzugsgebiete?

Der Garten ist in der Mystik ein Ort spiritueller Transzendenz, im politischen Sinne aber auch eine Metapher für Freiheit und Exil. Gerade im Iran brauchen die Frauen heute solche Orte. Viele Menschen flüchten aufs Land, um der permanenten Überwachung und Gängelung durch Regierung, Armee und Revolutionswächter in der Stadt aus dem Wege zu gehen.

In Ihrer Ausstellung „Women of Allah“ spielte der Tschador eine zentrale Rolle. In Europa gibt es ständig Kopftuch-Debatten.

Viele sehen im Tschador ein Symbol. Aber in der Realität ist der Tschador für die meisten ein Alltagsgegenstand. In meinem Film hat das Kopftuch eine rein soziologische Bedeutung, es zeigt an, aus welcher Klasse die Frauen kommen. In meinen Fotoarbeiten war das anders: Da war der Tschador ein Symbol für die Unterdrückung der Frau, aber auch Ausdruck für die selbstbewusste Zurückweisung der westlichen Kultur.

Wie schwer war der Übergang von der Videoinstallation zum ersten Kinofilm, vom musealen zum cineastischen Medium?

Am Kino gefällt mir, dass es näher an den normalen Menschen ist. Kino ist ein Grundnahrungsmittel. Museen und Galerien sind sehr viel elitärer. Man muss sehr gebildet sein, um die zeitgenössische Kunst verstehen zu können.

Das iranische Kino ist auf internationalen Festivals sehr präsent. Wie ordnen Sie sich als Exil-Filmemacherin dort ein?

Zwischen meinem Film und denen der Regisseure, die im Iran leben, besteht ein großer Unterschied. Die Filme aus dem Iran dokumentieren und fiktionalisieren das dortige Leben zwischen den Parametern, die die Zensur vorgibt. In meinem Film geht es nicht um Realismus. Ich will Kinokunst machen, erst danach geht es um die iranische Zeitgeschichte.

Warum, glauben Sie, ist das iranische Kino im Westen so erfolgreich?

Der Westen begeistert sich für das iranische Kino weniger aufgrund seiner künstlerischen Ausrichtung als zumeist aus thematischen Gründen. Darauf setzen einige Filmemacher; sie wissen, was die westlichen Festivals mögen. Heute sind es die Frauen, morgen Homosexuelle, übermorgen arme Kinder, deren Unterdrückung vorgeführt wird.

Dürfen Sie selbst in den Iran reisen?

Ich habe zwar kein offizielles Einreiseverbot, aber ich fühle mich persönlich im Iran nicht sehr sicher. 2002 waren zwei Videos von mir auf Initiative eines mutigen Museumsdirektors dort zu sehen.

Ihr Film kommt im Iran wohl nicht in die Kinos. Findet er dort trotzdem seinen Weg zum Publikum?

Der Film ist am 9. April in den USA gestartet. Schon einen Tag vorher hat meine Schwester in Teheran zwei DVD-Kopien auf dem Schwarzmarkt gekauft.

Interview: Martin Schwickert

SHIRIN NESHAT, geb. 1957, widmet ihre Kunst der Identität muslimischer Frauen. Ihre bekanntesten Arbeiten: die Fotoserie „Women of Allah“, die Videos „Rapture“ und „Turbulent“.

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