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Kultur: Reich mir die Hand

Klassik maskiert: die Perückenkonzerte im Berliner Schloss Charlottenburg.

Anmutig schreitet die junge Frau die Stufen des Bühnenpodiums hinauf, öffnet ihr Stofftäschchen, nimmt ein extralanges Kaminstreichholz heraus, entzündet es mit ritueller Gebärde und steckt dann, Stück für Stück, alle Kerzen an den hölzernen Notenständern an. Gleich wird der Zeremonienmeister des Abends aus der Kulisse treten, um das Publikum zu begrüßen, wie die junge Frau, in höfische barocke Kleider gewandet.

„Perückenkonzerte“ nennt man in Österreich jene Form von musikalischer Unterhaltung, bei der die Instrumentalisten verkleidet auftreten, passend zum historischen Stil der aufgeführten Kompositionen. Kaum verwunderlich, dass die „Berliner Residenz Konzerte“ in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg ein Export aus Wien sind. Ein Exportschlager, sollte man wohl besser sagen, denn das Geschäft mit den nostalgischen Klassikmaskeraden läuft gut in der deutschen Hauptstadt. Seit mittlerweile siebeneinhalb Jahren bespielt die Firma Image bis zu vier Mal pro Woche das lang gestreckte Nebengebäude der Preußenresidenz von 1712. Wer mag, kann zum Konzert auch noch ein Abendessen buchen. Erst wird im Westflügel getafelt, dann erklingt im Ostflügel Musik aus der Zeit Friedrichs des Großen.

Peter Hosek und Sascha Petrovic betreiben mit der Image GmbH seit 16 Jahren in Wien die Schönbrunner Schlosskonzerte. Dort rekrutieren sich die Besucher zu fast 90 Prozent aus Touristen. Für Berlin hatten sie dasselbe erwartet – und wurden überrascht: Nur die Hälfte der Gäste kommt von außerhalb. „Wir hätten nie gedacht, dass so viele Berliner zu uns kommen würden“, sagt Petrovic. Zumal es sich – von der Kostümierung einmal abgesehen – um ein seriöses Aufführungsformat handelt. Mit den Darbietungen von André Rieus Truppe haben die „Berliner Residenz Konzerte“ nichts zu tun. „Ich schätze Rieu als Unternehmer, nicht als Musiker“, erklärt Hosek. „Immerhin ist es ihm als Holländer gelungen, uns Wienern den Walzer wegzunehmen.“

Die Konzerte versprechen anspruchsvolles Divertissement, denn hier erklingen Originalkompositionen, keine Arrangements. Die Musiker rekrutieren sich aus einem Pool von 60 Künstlern, gespielt wird mit einer Orchesterstärke von acht bis 18 Aufführenden, je nachdem, wie viele Tickets verkauft wurden. Bis zu 500 Stühle können in der Orangerie aufgestellt werden, meistens ist der Rahmen mit rund 150 Besucher aber angenehm intim, wobei die Konzerte im Sommer deutlich mehr nachgefragt werden als im Winter.

Vladi Corda, der an diesem Abend die Rolle des Konzertmeisters übernimmt, ist ein gestandener Geiger mit schönem, runden Ton, der seine jungen Mitspieler zu ernsthaften Interpretationen von Vivaldi- und Bach-Werken anleitet. Anna Wierer spielt ein Flötenkonzert aus der Feder des Alten Fritz, der Bariton Tadeusz Milewski, im Hauptberuf Chorist an der Deutschen Oper, wechselt sich bei den Arien mit der Sopranistin Alena Karmanova ab. Zum Finale singen sie im Duett „Reich mir die Hand, mein Leben“ aus Mozarts „Don Giovanni“. So buntgescheckt das Programm erscheinen mag, musikhistorisch ist es authentisch. Wilde Programmmischungen waren bis ins 20. Jahrhundert hinein normal: Zwischen bedeutende sinfonische Stücke wurden nach Gusto und Künstlerangebot Gesangsnummern, Virtuosenstücke und Opernouvertüren eingestreut.

Während sich die Gesangsprofis in ihren Kostümen ganz selbstverständlich bewegen, wirken die Musiker in ihren Livréen dann doch ziemlich verkleidet, vor allem, weil unter den Perücken da und dort Friedrichshainer Chic von heute durchblitzt, modische Vollbärte, Nerd-Brillen. Die Besucher stören sich nicht daran, lassen sich gerne auch von Talmi verzaubern. Weil sie in der Orangerie das Neuschwanstein-Feeling suchen, jenes vage Gefühl der guten alten goldenen Zeiten. Frederik Hanssen

Infos unter www.concerts-berlin.com

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