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Ela Angerer: "Bis ich 21 war".

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Ela Angerers Debütroman „Bis ich 21 war“: Reich und böse

Ela Angerer zeichnet in ihrem Debütroman „Bis ich 21 war“ das Porträt einer wohlstandsverwahrlosten jungen Frau.

Erst wenn es wehtut, wird es wirken“: So lautet in „Bis ich 21 war“, dem Debütroman der österreichischen Autorin Ela Angerer, ein „Glaubenssatz“ der heranwachsenden Ich-Erzählerin. Man darf ihn als Reaktion auf ihre, rein materiell gesehen, von Geburt an bestens ausgepolsterten Lebensumstände deuten. Diese verbessern sich noch einmal radikal, als ihre aufstiegsfreudige Mutter den sowieso schon gut verdienenden Gatten gegen einen französischen Multimillionär eintauscht, den „Cadillacfahrer", wie er schön lapidar und jungmädchenhaft genannt wird.

Der Cadillacfahrer ist auch der Grund dafür, dass das arme Mädchen von seinem 10. Lebensjahr an auf einem Schloss leben muss. Und zwar überwiegend allein, abgesehen von einer jüngeren Schwester und diversen Bediensteten: von den rasch wechselnden Kindermädchen bis zur schlosseigenen Näherin. Dass diese Näherin nur überaus wenig zu tun hat, liegt daran, dass die Mutter mit dem französischen Cadillacfahrer dauernd unterwegs ist: wenn nicht auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer, dann in Biarritz oder gleich auf den Seychellen, wo sie zum Bridge mit dem Schauspieler Omar Sharif verabredet ist.

Mit dem Blick auf diese Ich-Erzählerin kann man also von einem klassischen Fall von Wohlstandsverwahrlosung in der österreichischen Provinz der siebziger Jahre sprechen. Ihre mit Champagner und Kaviar und vielen anderen Leckereien gesegneten Lebensumstände verstärken den bei Adoleszierenden ohnehin üblichen Hang zu existenziellen Grübeleien zusätzlich. Die Protagonistin vertieft sich in Schriften von Kafka und Pascal und sinniert in ihren „Kierkegaard-Momenten“ über den Sinn des Lebens und die Frage, was dereinst einmal aus ihr werden soll.

Ein autobiographischer Coming-of-Age-Roman

Der autobiografische Coming-of-Age-Roman lässt die Antwort darauf, so viel kann problemlos verraten werden, zwar offen, aber auch das Allerschlimmste befürchten: Er verliert seine Heldin mit 21 Jahren heroinabhängig in Paris aus den Augen. Dagegen wurde aus der Ela Angerer, die 1964 in Wien geboren wurde und im Vorarlberg aufwuchs, nach ähnlichen Irrungen und Wirrungen eine Journalistin und Fotografin – und nun eben auch eine Romanschriftstellerin. Als solche vermag sie mit ihrem gefällig zu lesenden Debütroman „Bis ich 21 war“ jedoch nur ansatzweise zu überzeugen. Brav hangelt sich ihre sich stetig erinnernde Ich-Erzählerin am chronologischen Faden des fortschreitenden Lebensalters entlang („In meinem fünfjährigen Kopf“, „Ich war dreizehn“ usw.). Dabei stellen die Beschreibungen von Fotografien eine Art Leitmotiv dar. Dass aber die Fotos im Lauf der Jahre ihren Farbton ändern oder irgendwann ihren Rand verlieren, wie die Ich-Erzählerin bemerkt, simuliert nur Bedeutungszusammenhänge, die es gar nicht gibt.

Zumindest die Schilderung der luxuriös-desaströsen Familienverhältnisse fällt überzeugend aus: Dass für die Ich-Erzählerin, der von ihrer Mutter bereits im Kindergarten eine spätere Nasen-Operation nahegelegt wird, schon früh Drogen, von Marihuana bis LSD, zu einer Art „Sport“ werden, ist da wenig überraschend. Zumal in einem Haushalt, in dem sich die Mutter, sofern überhaupt anwesend, am meisten um die richtige Lagerung ihrer Pelzmäntel sorgt und ihre Glückspillen wie Smarties im ganzen Schloss herumliegen lässt.

Ela Angerers Ich-Erzählerin flüchtet sich in die Welt der Sexualität

Hinzu kommen eine von Kindheit an vorhandene Disposition zu Wahrnehmungsveränderungen: von als berauschend erlebten Farbexplosionen vor dem Einschlafen bis hin zu dem Eindruck lebendig werdender Möbel, wie weiland bei Rilkes Malte Laurids Brigge. Und zudem ein Drang zur Selbstbeschuldigung und -bestrafung. Nur schwer zu ignorierende innere Stimmen befehlen dem Mädchen Ekelprüfungen, darunter das Trinken von Hundepisse.

Die zweite Gegenwelt, in die sich Ela Angerers Ich-Erzählerin flüchtet, ist die Welt der Sexualität. Nach der Entdeckung des „Wunders“ der Masturbation verführt sie schon als Acht- oder Neunjährige ihre Ballettfreundinnen. Die zarten Schilderungen kindlicher Erotik wie das die Mädchen erregende spielerische Tauschen von Kleidung und Wäsche gehören zu den interessanteren Passagen dieses Romans. Quasi als irgendwie logischen und bösen Ausgleich dafür lässt Angerer ihre Protagonistin allerdings dann noch das Missbrauchsopfer eines lüsternen Großvaters werden. Wovor die Erwachsenen prompt die Augen verschließen: „Während sich alle Eltern bürgerlich entrüstet zeigten, falls unsere mädchenhaften Grenzüberschreitungen doch einmal ans Licht kamen, kümmerten sie sich nicht im geringsten um die Grenzüberschreitungen der Erwachsenen gegenüber uns Kindern.“ Eine wichtige Einsicht von Ela Angerers Heldin über das Verhältnis von Eltern und Kindern – ansonsten kommen ihre Beobachtungen allerdings recht unreflektiert und altklug daher.

Die eskalierenden Eskapaden verschaffen der Protagonistin im zweiten Romanteil einen Platz in einem strengen Luxusinternat für höhere Töchter („Wenn Eltern ihre Kinder fortgeben, dann in der Hoffnung, dass damit die Zeit überbrückt wird, bis diese endlich zur Vernunft kommen.“). Hier soll nun, verkündet vollmundig der Klappentext, die Ich-Erzählerin lernen, „dass es das Böse wirklich gibt“. Was sich aber als weibliche Internatsgeschichte nach dem Muster von Robert Musils „Törleß“ ankündigt („In Wirklichkeit wurde hier das Dunkle institutionalisiert. In Wirklichkeit hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass hier der Ort war, an dem ich für mein Schlechtsein bezahlen würde“), entpuppt sich am Ende als literarischer Knallfrosch.

Nicht nur, dass die Ich-Erzählerin auch im Internat bald ausgiebig Zeit für Sex und Drogen findet, auch die Falschbeschuldigungen einer Mitschülerin vermögen ihr nichts anzuhaben. So gesehen hätte es ruhig ein wenig mehr wehtun dürfen.

Ela Angerer: Bis ich 21 war. Roman. Zsolnay Verlag, Wien 2014, 192 S., 18,90 €.

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