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Renaissance-Theater: Verraten und verkauft

Leiser Rassismus von nebenan: Neil LaButes "Wie es so läuft“ wird am Berliner Renaissance-Theater aufgeführt. Ein smartes Spiel mit Klischees und Ressentiments.

In Paul Haggis’ grandiosem Amerika-Kaleidoskop, dem Spielfilm „L. A. Crash“, gibt es zu Beginn die Szene, in der zwei schwarze Jungs beim Verlassen eines Restaurants über die Kellnerin streiten, die ihnen keinen Kaffee nachgeschenkt hat. Eine Rassistin, echauffiert sich der eine, kein Zweifel. Da spielt es für ihn auch keine Rolle, dass er ja genau genommen keinen Kaffee bestellt hat, und dass die Bedienung ebenfalls Afroamerikanerin war. „Haben Schwarze etwa keine Rassenvorurteile?“, fragt er. Und wettert weiter über die Weißen in dieser reichen Gegend, die ihn und seinen Freund anglotzten, als seien alle Schwarzen Verbrecher – tja, und dann ziehen die beiden ihre Knarren und kapern ein Auto.

Ein ähnliches, ziemlich smartes Spiel mit Klischees und Ressentiments treibt auch der amerikanische Dramatiker, Drehbuchautor und Regisseur Neil LaBute in seinem Dreipersonenstück „Wie es so läuft“, das Torsten Fischer jetzt am Renaissance-Theater mit Zug und Witz inszeniert hat. „In einem Klischee steckt meistens auch ein Stück Wahrheit“, sagt darin einmal die Hauptfigur, die nur „Der Mann“ heißt, und was er damit meint, ist das, was er so denkt, wenn er ein weißes Mädchen zusammen mit einem, Sie wissen schon, sieht. Haben die, sagen wir doch ruhig Neger, nicht alle so unheimlich große, dicke …? Im Grunde wendet LaBute hier das „Borat“-Prinzip an: Einer mimt den politisch Unkorrekten, appelliert ans Primitive, zwinkert seinem Publikum in männerbündischer Kneipenkumpanei zu und verführt es so dazu, selbst die Hosen runterzulassen. Ist doch okay, wir denken doch alle so!

Der Mann wird später in einem atemlosen Bekenntnis-Monolog die Geschichte erzählen, wie es dazu kam, dass er seinen Job in einer Anwaltskanzlei verlor. Da war diese Kollegin, Afroamerikanerin, man reizte sich gegenseitig während einer Dienstreise bis zur Weißglut, und irgendwann schrie er sie an: „Du führst dich auf wie ein zähnefletschender Schimpanse, der gerade vom Baum gefallen ist!“ Ist das denn ein Drama?

Der Punkt ist allerdings, dass man dem Mann nicht trauen kann. Dominique Horwitz spielt ihn als schillernden Dompteur eines auktorialen Erzählzirkus, er spult die Handlung vor und zurück, legt Figuren Sätze in den Mund, die er gleich wieder zurücknimmt und belügt sein Publikum überhaupt, wo er kann. Oder nicht? Seine Geschichte ist eine mit allerlei Klassik- und Popzitaten aufgeladene „Othello“-Variation: Er, der einstige HighSchool-Pummel, trifft nach Jahren seine große Liebe Belinda wieder (schön zwischen Heimweh und Hysterie balancierend: Sandra Cervik), die in der Kleinstadt hängengeblieben ist und den einzigen Schwarzen am Ort geheiratet hat, Cody, den Supersportler, heute Baumarkt-König, mit dem sie schon zu Schulzeiten ging. Nikolaus Okonkwo gibt ihn als manischen Selfmademan, der sich in der Rolle des ewig Erniedrigten und Beleidigten gefällt und von dem es heißt, er hätte schon früher gern die Rassenkarte gespielt, um seine Ziele zu erreichen, sein „Kreuz-As“. Der Mann zieht bei dem Ehepaar ein, über der Garage, und es entspinnt sich eine ebenso krimikomödiantische wie grundernste ménage à trois, die Regisseur Fischer im kühlen Transitambiente der Einzelhandelswelt ansiedelt, auf Wartebänken vor dem „Sears“-Logo (Bühne: Herbert Schäfer). Tatsächlich geht es bald nur noch darum, wer hier wen verkauft und verrät, zum Preis einer seltenen Baseballkarte.

„Wie es so läuft“, im Original nach einer Songzeile von Aimee Mann „This is how it goes“ betitelt, funktioniert am Renaissance-Theater als enorm unterhaltsames Gesellschaftspsychogramm der kleinen Unterschiede. Man muss in dieser Münchhausen-Story aufs Detail achten – zum Beispiel, ob einer „schön“ sagt, oder „in Ordnung“, ob er Wasser trinkt oder Limo. Daran, und nicht an Schwarz oder Weiß, zeigt sich, wessen Herz eine Mördergrube ist und die Farbe von Coca-Cola hat.

Wieder am 23. bis 26., 30. und 31. März.

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