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Kultur: Rentner in Riga

„Baltic Pop“: Junge Fotografie aus dem Osten in der Galerie Giedre Bartelt

Die Kluft könnte nicht größer sein als zwischen jenen im Westen so geliebten, elegischen Ostsee-Fotoszenarien. Und den in der Galerie Giedre Bartelt erstmals präsentierten neuen Vertretern eines "Baltic-Pop", was als Schlagwort für dieses Kaleidoskop jüngerer Fotografie aus Lettland, Estland und Litauen gut funktioniert.

Hier meldet sich eine Generation, die im Baltikum lebt, aber im neuen Europa zu Hause ist. Eine ganze Reihe der in der Ausstellung vertretenen Künstler, deren Arbeiten von Thomas Lechner ausgewählt und aufgehängt worden sind, erlebte die Umbrüche der postsowjetischen Ära, den Wechsel der gesellschaftlichen Paradigmen und den Beitritt zur EU als Jugendliche und junge Erwachsene. Voller Sehnsucht nach einem eigenen Weltbild, selbstverständlich die offenen Grenzen nutzend, mit gültigem Pass und ungestillter Reise- und Experimentierlust. So wie der 1970 geborene Dainius Liskevicius, der sich für seine serielle Arbeit „Enjoy Yourself“ buchstäblich auf den Kopf stellt und sich selbst in dieser sportlichen Pose auf seinen Reisen durch Europas Metropolen fotografiert. Die meisten aber finden ihre Motive zu Hause, im eigenen Lande. Der Litauer Arnis Balcus (geb. 1978) ließ für seine Fotogeschichte „Kill that Girl“ zwei schlanke Amazonen mit kinoreifem Getue samt Pistole um die Wette laufen.

Das junge Fotografenduo pureculture (Simona Veilande und Emils Rode) sprach dagegen gestandene Rentner in Riga auf der Straße an und fragte, ob sie in ihrer eigener Kleidung Modell stehen würden. Und es ging. Am Ende verschmolzen beim „Shooting“ die authentischen Gesichter, Farben, Stoffe und Gesten zu einem ganz vom Leben gestylten Ausdruck, der irgendwie abgeklärt, ja fast chic daherkommt.

Dagegen setzen Peeter Laurits und Ain Mäeots aus Estland für ihre Fotos bewusst auf Chaos und ihre Sozialkritik am Umweltdesaster rüde in Szene. Sie inszenierten ihr „Letztes Abendmahl“ als Unort, der mehr einer heillosen Müllhalde, einem rüpelhaften Sauhaufen ähnelt als einem Ort für des Heilands letzte Runde am Tisch.

Dieser unterschiedliche Umgang und die Interpretation von westlicher Bildwelt, Kino und Ikonografie ist mehr als eine visuelle Exkursion in den Osten. Hinzu kommt eine unverhohlen distanzierte Art, in der sich Humor, beißende Ironie und durchaus Zynismus mischen. Alles zusammen erzählt von den neuen baltischen Wirklichkeiten, oft genauer als viele Echtzeitberichte in bewegten Bildern. Auch hat längst der Photoshop-Boom und die breite Auswahl moderner Fototechniken Einzug gehalten. Es wird retuschiert, collagiert, montiert und gesampelt, es wird gespielt und probiert, was der C-print nur hergibt. Natürlich arbeitet man sich dabei auch an den Vorbildern ab; das geschieht dort wie überall.

Analoge Fotografien aber gibt es auch diesmal. Da sind die rätselhaften schwarz-weißen Silbergelatineprints von Virgilijus Sonta. Posierende Akte und motorisierte Vehikel. Spuren im Sand. Diese enigmatische Serie entstand bereits 1990 – aufgenommen bei einer Reise durch Amerika. Der Fotograf starb als Vierzigjähriger, zwei Jahre später, rätselhaft und plötzlich, zu Hause in Litauen. Seine nächtliche Serie nannte er „Abendliche Vorahnung“. Manche Spuren führen einfach ins Dunkel.

Giedre Bartelt Galerie, Linienstraße 161, bis 1. März. Mittwoch bis Samstag 14–18 Uhr.

Thea Herold

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