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Kultur: Republik Himalaya

Theater und Terror: „Die Optimisten“ von Moritz Rinke, in Bochum uraufgeführt

Ein Entführer hat kürzlich bei einer der monatelang verschleppten Sahara-Geiseln zuhause angerufen und sich nach dem Befinden erkundigt. Das ist eine wahre Geschichte, jedenfalls stand sie in der Zeitung. Wäre die Realität von einem Giga-Hirn gesteuert, so müsste man sagen: Sie wird immer einfallsreicher. Und heimtückischer.

Terroristen bestimmen in Moritz Rinkes neuem Stück „Die Optimisten“, einem Auftragswerk vom Schauspielhaus Bochum, das Gesetz des Handelns. Allein, man sieht sie nicht. Ihre Forderungen, ihre Motive bleiben unbekannt. Vielleicht – der Verdacht drängt sich im Lauf des langen Abends auf – existieren diese anonymen nepalesischen Maoisten ja nur im Programmheft. Und man hat es mit einer westlichen Selbstbestrafungsfantasie zu tun, ähnlich wie bei Christian Krachts luzidem iranischen Revolutions-Reise-Roman „1979“, der letzte Spielzeit gleichfalls in der Regie des Intendanten Matthias Hartmann auf die Bochumer Bühne kam.

Aus einer deutschen Reisegruppe, eingeschlossen in einem Hotel in Nepal, verschwinden Menschen. Es gibt einen mysteriösen Todesfall. Im Reisegepäck tauchen Kalaschnikows auf. Das Wasser ist untrinkbar, aber der Alkoholvorrat unerschöpflich. Zu essen gibt es nichts mehr – außer gesalzenen Erdnüssen in Massen. Anfangs telefonieren die Touristen noch mit Mönchen in einer Autowerkstatt, um den Reisebus wieder flottzukriegen, doch in diesem Teil der Welt versagt auch alles rechte und schlechte Englisch. Die Verbindungen brechen vollends ab. Verwesungsgeruch liegt in der Luft.

Unsere deutschen Weltreisenden sind Meister des Verdrängens. Die klaustrophobische Situation – man fühlt sich an Rinkes Erfolgsstück „Republik Vineta“ erinnert, wo Wissenschaftler und Manager unter falschen Vorgaben aufeinander hocken – wirft sie auf sich selbst zurück. Sie schlagen ihre Berliner Wohnküchenparty überall auf.

Rinke hätte das Drama auch „Die Egoisten“ nennen können: Denn seine Himalaya-Gipfelstürmer sehen bloß die eigene, behütete Existenz, sie schwatzen bis zum (bitteren?) Ende über verblasene Filmprojekte, klitzekleine Beziehungsprobleme und debattieren wie im Seminar über eine wolkige agrarpolitische Petition, die sie auf einer Welthandelskonferenz in Bombay vorlegen wollen. Dahin werden sie nie kommen, und da braucht man sie wohl auch nicht, diese rührend-lächerlichen Weltverbesserer und Bedenkenträger. Diese unschuldigen Spinner, die wegen der Globalisierungsungerechtigkeit ein bisschen das schlechte Gewissen plagt – in einer schicken Hotelhalle vor Bergpanorama (Bühnenbild: Erich Wonder).

„Es geht um das Anfangen. Man muss einfach mal anfangen. Ich glaube, es geht um ein wirkliches Nein. Jedes Nein gibt seine Energie weiter. (...) Man darf unsere Regierungen keine fünf Minuten alleine lassen“, predigt Carla, eine Studentin. Maria, die engagierte Ärztin, weiß: „Wenn die Deutschen Bildungsurlaub nehmen, wird’s echt hart.“ Nick, der Dauerquengler, filmt tapfer seine Fliegen, die er in einem Glas gefangen hat.

Ebenso betrachtet Rinke seine Probanden: Wie verhalten sich verwöhnte Bundesbürger unter Bedingungen, die immer unerklärlicher, brutaler und absurder werden? Das Problem ist: Keiner hat hier eine Biografie, sondern nur Klischees und Illusionen im Kopf. Sie klappen zusammen wie Pappkameraden, viel mehr Substanz besitzen sie nicht. Eine bös gemeinte Groteske. Aber das Farcenhafte wirkt eskapistisch. Wie eine Ausrede dafür, dass das Theater keine Antwort hat auf den Terror in der Welt. Offenbar wird es auch immer schwerer, wenigstens schmerzhafte, wütende Fragen zu stellen, wie Sarah Kane es getan hat. Rinke kann, wie bei den „Nibelungen“, einen Mythos ironisieren. Mehr Scham als Charme wäre hier nötig.

Sie futtern Erdnüsse, und sie geben den clash of civilisations mit scheinklugen Peanuts-Dialogen wider. Das beherrscht Moritz Rinke: die unerwartete, verdrehte Pointe. Michael Maertens (Nick, der esoterische Filmemacher) greift, ein trotzig-rotziger Junge, jede Menge Lacher ab. Wolf-Dietrich Sprenger (ein linker Ministerialdirigent) arbeitet mit Fleiß an seinem eigenen Verschwinden, traurig und komisch. Ein wenig ununterscheidbar sind die beiden jungen schlanken entschlossenen Frauen – Lena Schwarz, Anne-Marie Bubke – in ihren Cargohosen, während Johanna Gastdorf als ältliche Rundfunkreporterin ihrem Trauma nachhängt, dass alle Männer bloß Eiswürfel sind.

Reicht das für ein Gesellschaftsbild in der Hölle? Allmählich bleiben die Sottisen aus – und an das sich auftürmende Elend dieser Eingeschlossenen mag man gar nicht glauben. Matthias Hartmanns Regie zieht das Bestiarium der Harmlosen in die Breite und die Länge. Womöglich gleicht Hartmanns verspieltes, gefälliges Naturell der leichtfüßigen Rinkeschen Art zu sehr.

Rinke fing sich beim Applaus heftige Buhrufe ein, es waren wohl Leute von Attac. Rinke hat sich an ein großes Thema gewagt. Das alle Welt bewegt, nicht nur Aktivisten. Da kann, da muss man auch mal scheitern.

Rüdiger Schaper

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