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Wo bald die Musen wohnen. Blick auf den Rohbau von Franco Stellas Schloss-Replik, in die 2019 das Humboldt-Forum einziehen soll.

© Kitty Kleist-Heinrich

Richtfest beim Humboldt-Forum: Welt im Schloss

Am Freitag ist Richtfest beim Humboldt-Forum: Ein Rundgang über die Baustelle des Berliner Schlosses eröffnet aufregende Perspektiven.

Es gibt Bücher, die sind leer. Blanke Seiten. Künftige Wissens- und Erinnerungsspeicher für die Tasche, fürs Reisen. Im Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris gibt es eine ganze Bibliothek von Folianten, die sich sehr speziell liest. In ihnen steckt eine kostbare zoologische Sammlung, hinter der Fassade der Buchrücken. Alexander von Humboldt hat das Museum, eine Gründung der Revolutionäre, häufig besucht und dort gearbeitet. 1814 half der Berliner Weltreisende, der in der französischen Hauptstadt lebte und auf Französisch publizierte, das Museum vor preußischen Soldaten zu retten. Die wollten dort im Park campieren und plündern, nachdem Napoleon besiegt war.

So ähnlich wie die verbergende Bibliothek kann man sich das Berliner Humboldt-Forum vorstellen. Es wird einziehen in die von Franco Stella entworfene Schlossreproduktion, die so schnell aus der historischen Erde gewachsen ist, dort, wo einmal der Palast der Republik stand und die Hohenzollern-Residenz. Am kommenden Freitag, den 12. Juni, wird Richtfest gefeiert: für das Schloss, für das Humboldt-Forum. Für einen Zwitterbau, der ein Außen und ein Innen zusammenbringen muss, ohne zu zerspringen, ohne zu misslingen.

Alexander von Humboldt selbst war in dem alten Schloss oft zu Besuch beim König, später in seinem Leben. Der Forscher und Schriftsteller starb 1859. Nach ihm und seinem Bruder Wilhelm von Humboldt, dem Diplomaten, Bildungsreformer und Schriftgelehrten, ist das Forum benannt. So wie die Humboldt-Brüder in die Zukunft schauten, neu und global dachten, Entdeckungen machten, Kunst und Wissenschaft verbanden und an der Menschheitsgeschichte schrieben, so will das Humboldt-Forum ein zentraler Ort für die Welt und die Kultur sein.

Dass ein nachgebautes Schloss dafür nicht der ideale Rahmen ist, liegt auf der Hand. Immerhin: ein Rahmen. Und besser könnte die Lage nicht sein. Ohne die Idee des Humboldt-Forums mit den außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem und der greifbaren Verbindung zur Museumsinsel mit der Antike, dem europäischen Mittelalter, der islamischen Kunst und dem alten Ägypten – ohne eine Neuorganisation der Berliner Sammlungen wäre das Schloss ein hohler Körper geblieben. So aber kann der Humboldt’sche Geist die Hülle mit Leben füllen.

Das mag der Streit von gestern und vorgestern sein. Aber es ist wichtig, daran zu erinnern, zum Richtfest. Es war ein langer Weg nach der Vereinigung, bis der Konsens gefunden war: Schloss plus Forum. Es dauert jetzt auch noch eine Weile, Bauen bedeutet Risiko, und Eröffnungstermine werden in Berlin misstrauisch beäugt. 2019 soll das Humboldt-Forum eingeweiht werden, wenn alles nach Plan läuft. Momentan sieht es gut aus. Man weiß aber auch, dass der Rohbau in der Regel nicht so viele Probleme macht. Die beginnen meist mit dem Innenausbau, also mit der Vorbereitung und Einrichtung der Räume für die Präsentationen der Sammlungen.

Wie das einmal werden soll, das kann man auf Modellen und in Simulationen schön sehen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat dazu ein Magazin herausgebracht, mit dem Untertitel „Ein Berliner Schloss für die Welt“. Da ist es immer wieder, das Schloss. Die Berliner sagen auch: Schloss, nicht Humboldt-Forum. Weil es einfacher ist. Weil es das ist, was man sehen kann oder zu sehen glaubt. „Humboldt-Forum“ steht für das noch Unbekannte. Aber so war es auch, als die Brüder Humboldt in die Welt hinauszogen. Neugier war ihre größte Leidenschaft – eine offene Haltung, wohin auch immer es sie trieb. Wilhelm allerdings blieb in Europa, er untersuchte die Sprachen der Welt zu Hause, wurde versorgt von Alexander und vielen anderen.

Geht man in diesen Tagen vor dem Richtfest auf die Baustelle und durchwandert die Räume, ändert sich die Perspektive, die Unsicherheit verschwindet. Erster Eindruck, mit Bauhelm auf dem Kopf und in Schuhen mit Stahlkappen in einer Pfütze stehend: Das wird großartig! Die Dimension des Raums schon in der hohen Eingangshalle unter der Kuppel  – gewaltig. So etwas gibt es bisher nicht in Berlin; vielleicht im Ansatz in der großen Halle der Gemäldegalerie.

Wir kennen hier fast nur Museen, die umgebaut oder restauriert werden, die schließen müssen. Verflogen erst einmal, wenn man das riesige Betonrechteck betritt, ist die Skepsis, die sich mit dem Wort Schloss verbindet. Eindeutig entsteht hier ein Gebäude für Kunst und Geschichte, für religiöse, rituelle Gegenstände, für Hochkulturen – die im 18., 19. und im frühen 20. Jahrhundert entdeckt, ausgebeutet, kolonisiert wurden. Deren Artefakte sich heute in den großen Museen befinden.

Die Geschichte der Sammlungen ist auch eine machtpolitische. Sie soll an diesem neuen Ort erzählt werden, das betont die Stiftung Preußischer Kulturbesitz immer wieder.

Pathos ist erlaubt: Es handelt sich um Deutschlands größte Kulturbaustelle

Sie wird groß, die Kuppel vom Schloss. Vom Schinkelplatz aus ist sie sehr gut zu sehen. Dazu muss man natürlich hingucken, die Herren!
Sie wird groß, die Kuppel vom Schloss. Vom Schinkelplatz aus ist sie sehr gut zu sehen. Dazu muss man natürlich hingucken, die Herren!

© Kitty Kleist-Heinrich

Beim Rundgang durch den Rohbau spürt man: Hier wird ein ästhetisches Erleben von Artefakten möglich sein, die für ihre Kultur und das Weltganze stehen. Das war den Humboldts wichtig. Sie waren keine Ideologen, sie glaubten an Bildung, Schönheit und Gerechtigkeit. Alexander verachtete Sklaverei und Ausbeuterwirtschaft, die er im spanischen Amerika erlebte. Ihn packte die Aura einer Landschaft, die Eleganz einer Brücke, die Form einer Steinaxt.

In einem seiner Bücher vergleicht Alexander von Humboldt die Haartracht einer aztekischen Büste mit dem Kopfschmuck einer griechischen Statue, die er aus Rom kannte. Er legt mexikanische und ostasiatische Kalender nebeneinander und stellt verblüffende Parallelen fest. Die Großzügigkeit der Raumplanung im Humboldt-Forum macht Hoffnung, dass den afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen, ozeanischen Sammlungen der Wirkungsplatz gegeben wird, den sie in Dahlem nie hatten. Wenn die Räume nachher nicht noch kleinteilig vollgepackt werden.

Bei der Vorstellung der Gründungsintendanten Neil MacGregor, Horst Bredekamp und Hermann Parzinger sprach Kulturstaatsministerin Monika Grütters von einem „intellektuellen Richtfest“. Auch die drei Herren geizten nicht mit Superlativen und Pathos. Man mag das überzogen finden, aber all die Jahre zuvor hat es daran gefehlt: dass jemand sich einmal für den 600-Millionen-Euro-Bau mit seinen 24 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche begeistert. Es handelt sich immerhin um die größte Kulturbaustelle der Bundesrepublik Deutschland.

Allmählich spricht es sich herum, was für ein Riese sich in der Mitte der Stadt erhebt, auf dem Festland gegenüber der Museumsinsel. Sie wird durch das Humboldt-Forum ausbalanciert. Hier ins Bild, in Beziehung gesetzt, könnten die Kunstwerke sprechen, ihre Natur enthüllen, so wie es Neil MacGregor in seinem Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ vorführt. Das Humboldt-Forum, dem er die entscheidenden Ideen geben soll, gleicht einem in Beton gegossenen Versprechen.

Man versteht den Gewinn, den dieser Bau bringt, erst richtig, schaut man von drinnen nach draußen; der Koloss hat über 500 Fenster. Der Blick fällt da auch auf das Ministerium des Auswärtigen. Vom Humboldt-Forum wird das erwartet: Vernetzung, Gespräche, Vermittlung, Begegnung mit Menschen aus den Ländern, deren Geschichte und Kunst hier ausgebreitet ist. Die gesamte Mitte kann man im Panorama erfassen, wandert man einmal das Forum rundherum ab: Dom, Museumsinsel, Deutsches Historisches Museum, Bauakademie-Attrappe, Friedrichswerdersche Kirche – und der Sockel für das überflüssige Einheitsdenkmal ist auch da. In den zwei Höfen sollen neue, öffentliche Stadtplätze entstehen. Die Sichtachsen sind eindrucksvoll.

Richtfest! Aber das Bild täuscht: Jetzt steht da der noch nackte Bau, eine riesige Projektionsfläche. Wenn erst einmal der ganze Zierrat, die Schmuckbausteine, Kapitelle und Skulpturen an der Fassade hängen, also das, was das Schloss ausmacht, wird sich der Eindruck ändern. Die Spannung zwischen dem Innen und dem Außen wird dann spürbar werden. Darin könnte sich, wenn das Projekt gelingt, das Verhältnis der Humboldt-Brüder spiegeln. Es war nicht immer leicht zwischen Wilhelm, dem ausgleichenden Charakter, dem Politiker, und Alexander, dem Hochfahrenden, dem Künstler.

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