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Kultur: Ring der Spiegelungen

Viele, viele Trenchcoats: die „Götterdämmerung“ an Dresdens Semperoper

Aufrechter Gang zum letzten Mal mit hochgerecktem Schwert. Ein greiser Wotan, der die Splitter seines zerschlagenen Speers in Händen hält, zieht den schwarzen Vorhang zu. So setzt die Szene ihr Signal für den Trauermarsch, in dem Michael Boder mit der Sächsischen Staatskapelle die Herzen rühren kann: Wenn mit dem Siegfried-Thema das seiner geschwisterlichen Eltern, seiner eigenen Wanderjahre und seiner Heldentaten gewaltig verwoben wird. Dieser heroische Siegfried der Partitur Richard Wagners ist nicht schuld daran, dass Götter und Menschen ihn auf die Realität der Welt nicht vorbereitet haben, dass er keine Chance hatte und als Marionette der Hagen-Intrige zum Opfer fiel: So denkt der Hörer, wenn ihn das große instrumentale Intermezzo bewegt.

Wir sehen in der „Götterdämmerung“ als stumme Rolle einen altersschwachen Wotan, der das Abschiednehmen nicht missen kann. Regisseur Willy Decker lässt ihn noch in Brünnhildes Schlussgesang auftauchen, lässt ihn sein kühnes, herrliches Kind noch einmal umarmen, bis die Tochter ihn fortschickt: „Ruhe, ruhe, du Gott!“ Schließlich kehrt die Theatermetapher des Tetralogie-Beginns zurück, die geschwungenen Stuhlreihen mit Brünnhilde und Wotan in Zuschauerposition versinken – und Erda erscheint: So hat die Göttin, deren musikalisches Motiv eine Variante des einleitenden Naturmotivs ist, in derselben Besetzung mit Birgit Remmert das „Rheingold“ eröffnet. Willy Decker und sein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann richten ihren Blick im „Ring des Nibelungen“ auf die Spiegelung der Ereignisse. Die Urmutter Erda, die im „Siegfried“ zerstört wird, ist wieder da: Erneut wird „das Weibliche“ exponiert, die Ur-Ruhe. Das Spiel könnte von vorn beginnen.

Sonnige Häppchen

Dem Endspiel wohnt an der Sächsischen Staatsoper Dresden nicht nur im Kunstwerk ein Neuanfang inne: Nach der ministeriellen Verabschiedung des Intendanten Christoph Albrecht führt sich auf einer Pressekonferenz der Münchner Gerd Uecker als neuer Intendant ein und verspricht für seine kommenden sechs Jahre, „die Breite der ästhetischen Handschriften“ auf dem Musiktheater anzubieten und dabei „wichtige“ Regisseure einzuladen. Strauss-Repertoire, Dresdner Bezüge, 20. Jahrhundert – man wird beobachten, ob aus dem Konzept Aufregendes entsteht. Die in Dresden vernachlässigte große italienische Oper will Uecker beleben.

Nach dieser Rede werden Häppchen gereicht, und über den schönen Theaterplatz strahlt abendlich die Sonne. Zurück in die Semperoper: Musikalisch erreicht die „Götterdämmerung“ nicht ganz, was „Siegfried“ vor den Sommerferien versprochen hat: die sächsische „Wunderharfe“. Vielleicht steckt dem Orchester gerade die Sommerpause noch in den Knochen. Und wenn Michael Boder mit den Musikern vor der dritten Szene des ersten Aufzugs sein Espressivo in leisen Tönen entfalten will, dann grummelt ihm die Bühnentechnik dazwischen. Die Musik kommt gänzlich zu sich selbst in Waltrautes Erzählung: „Höre mit Sinn, was ich Dir sage.“

Wegen plötzlicher Erkrankung hat Birgit Remmert Nachsicht erbitten lassen, um dann in der Andeutung, im Markieren die musikalischen Motive des Göttermythos so lebendig werden zu lassen, wie das in der Waltrauten-Szene gegen Ende des langen ersten Aktes selten so inspiriert gelingt: Indispositionen können gesegnet sein. Spiegelungen: Das Rheingold „am Beginn der Götterdämmerung“ weist der Regie den Weg. Drei Nornen entpuppen sich als Verwandte der drei Rheintöchter (hervorragend Britta Stallmeister, Ursula Hesse von den Steinen und Katharina Peetz).

Die Gibichungen könnten trivialisierte Götter sein, Decker inszeniert aber eher, dass Gunther und Gutrune als Geschwisterpaar eine Spiegelung von Siegmund und Sieglinde darstellen. Heruntergekommen allerdings, banalisiert. Hatte das verzweifelte Zwillingspaar in der „Walküre“ keine Zeit zu verlieren, so haben die Gibichungen, die „herrlich am Rhein“ in zwei Ledersesseln sitzen, derer zu viel: Ein Champagnerleben wird versäuselt, schwankende Gestalten, erotisch einander zugetan ohne die Unbedingtheit der Wälsungen. Hans-Joachim Ketelsen und Sabine Brohm aber können nicht vermitteln, dass im Werk ein gewisses Zwielicht das Gibichungenpaar davor bewahrt, langweilig zu sein. Da ihr Halbbruder Hagen in Gestalt des kurzatmig singenden Kurt Rydl die Aura des Nibelungensohnes vergessen lässt und zum schlappen Proll tendiert, befindet sich das Zentrum der „Götterdämmerung“ bald im spießigen Alltag.

Mythischer Zauber

Während im zweiten Aufzug zunächst musikalisch wie szenisch der Staatsoperchor dominiert, gerät das Terzett, in dem der Mord an Siegfried beschlossen wird, ins Abseits allen Interesses. Warum im zentralen Dialog der Handlung Brünnhildes Liebe in tödlichen Hass umschlägt, bleibt nicht zuletzt deshalb verborgen, weil Gabriele Schnaut unter dem Diktat ihrer Tongebung Textverständlichkeit verweigert . Es ist bemerkenswert, wie wenig Spannung im Sinn des Dramas die drei Protagonisten vermitteln, während sie wild aufeinander losbrüllen.

Mit Siegfrieds Abgesang (tapfer: Alfons Eberz) wendet sich das Blatt noch einmal zum Besseren, zumal Schnaut mit Brünnhildes Liebestod für sich einnimmt. Willy Deckers „Ring“ hat sich geschlossen und enthält viele Details intensiver Personenführung. In seiner Theatermetaphorik durchdringen sich Betrachten und Leben. Das kann anregend sein, aber auch erschöpfend. Oh kehre wieder, mythischer Zauber! So möchte man angesichts der Trenchcoats und Designerklamotten, Theaterstühle und Auditorien auf der Bühne seufzen. Und den braven Regisseuren des Musiktheaters empfehlen, zur Abwechslung ins Kino zu gehen und sich den „Herrn der Ringe“ anzusehen.

Wieder am 7. und 11. September, dann wieder im nächsten Jahr.

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