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Kultur: Ringsum ruhet die Nacht

Harald Bergmanns Hölderlin-Filme im Berliner Literaturhaus

Es sei „Entwürdigung“, beharrt Diotima in Hölderlins „Hyperion“, „von irgendeinem Menschen zu sagen, man hab’ ihn ganz begriffen, hab’ ihn weg“. Der Regisseur Harald Bergmann hat mittlerweile mehr als sechs Stunden Film über Hölderlin produziert. „Weg“ hat er ihn noch lange nicht. Es begann in den Achtzigerjahren. 1992 kam „Lyrische Suite – Das untergehende Vaterland“ heraus. Zwei Jahre darauf folgte „Hölderlin Comics“, im Jahr 2000 der viel gerühmte „Scardanelli“. An diese Trilogie schließt nun „Passion Hölderlin“ (2003) an. Alle vier Arbeiten gibt es heute im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße zu sehen. Zudem widmet sich eine Podiumsdiskussion dem „filmischen Recycling“ Hölderlins.

Zu Beginn von Bergmanns jüngstem Film sieht man ein Segelflugzeug, das von seinem Schlepper abgekoppelt wird. Dann helfen nur noch die thermischen Aufwinde und das Geschick des Piloten. Hölderlin also wäre wie Segelfliegen, ein Anschmiegen an die Natur? Hölderlin, suggeriert der Film, ist aber auch wie Meskalin, eine Droge. Oder wie die polyphonen Klänge eines Bergbachs. Selbst nach einem Jahrzehnt der Beschäftigung mit dem Dichter lässt sich Bergmann nicht zur Synthese verleiten. Hölderlin ist ihm Ausgangspunkt eines unabschließbaren Kommentars. Sechs Scheinwerfer richtet er auf ihn. Sechs Leidenschaften. Alle zusammen ergeben sie Bergmanns eigene „Passion Hölderlin“.

Genialer Sturzflieger

Als Hirnforscher vermutet Detlef B. Linke in einer Zyste, die auf den Verbindungsbalken zwischen Hölderlins Hirnhälften drückte, eine Irritation des „Informationsaustauschs“. Die neurologische Anomalie war bereits unmittelbar nach Hölderlins Tod festgestellt worden. Der 1770 geborene Dichter galt seit 1802, als er von einem Fußmarsch aus Südfrankreich zurückkehrte, als geisteskrank. Die Jahre bis zu seinem Tod 1843 hat er entmündigt und eingesperrt im nachmals berühmten Turm des Tübinger Schreinermeisters Zimmer verbracht. So sehr sich die Forschung bemüht hat, Hölderlin vom Urteil der „geistigen Umnachtung“ freizusprechen – den Deutschen ist der Konnex zwischen Genialität und Wahnsinn lieb geblieben.

Bergmann arbeitet in seinem Bild-Text-Projekt mit den Mitteln der Collage. Mal überblendet er verschiedene Rezitatorenstimmen – allen voran die von Walter Schmidinger –, mal legt er einen elegischen Chanson von Jacques Brel, dann einen Tango von Astor Piazzolla unter die Bilder. Und er macht nicht Halt vor dem Missverständnis, das den Dichter des „Todes fürs Vaterland“ in die Tornister deutscher Frontsoldaten geraten ließ. Hölderlin, so Wismann, tauge eben auch zum „genialen Sturzflieger“, zum „Stuka“ – wie in Karl Ritters gleichnamigen Film von 1942. Groß sei er, verdächtig, bedenklich.

Bergmann umspielt seinen Gegenstand, statt auf Eindeutigkeit loszupreschen. Denn natürlich ist Hölderlin noch immer unterwegs. Das Segelflugzeug, das zu Beginn abgekoppelt wurde, kehrt im Film jedenfalls nicht zur Erde zurück.

Literaturhaus Fasanenstraße: 16 Uhr „Lyrische Suite – Das untergehende Vaterland“, 18 Uhr „Hölderlin Comics“, 20 Uhr „Passion Hölderlin“, 21.30 Uhr Podiumsdiskussion mit Heinz Wismann, Harald Bergmann und Elfi Mikesch, 22.30 Uhr „Scardanelli“.

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