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Robin Ticciati ist seit 2017 Chefdirigent des DSO.

© Marco Borggreve

Robin Ticciati und das Deutsche Symphonie-Orchester: Haydn trifft Ligeti

Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester realisiert Chefdirigent Robin Ticciati ein spannendes Programm, das Werke der Wiener Klassik und des 20. Jahrhunderts gegenüberstellt.

Zur Karnevalszeit dürfen sich auch in der ach so seriösen Klassik die humorigsten Köpfe aller Zeiten ein Stelldichein geben. Mit gepudertem Zopf und goldverziertem Rock erscheint Joseph Haydn als Respektsperson des 18. Jahrhunderts. Doch der Erfinder der sinfonischen Form war nicht weniger kühn und unkonventionell als György Ligeti, der in den 1960er Jahren entscheidend zur Erneuerung einer erstarrten Avantgarde beitrug.

Mit Robin Ticciati und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin sind sie beide „Auf einer Suche nach einer neuen Moderne“, getreu dem Motto der Philharmoniker-Biennale, in dessen Rahmen das Konzert stattfindet. Und die Moderne liebt nun einmal vor allem hintersinnige Überraschungen.

Los geht’s mit Chaos

Das „Chaos“ zu Beginn seines Oratoriums „Die Schöpfung“ beschreibt Haydn mit chromatisch umherschweifenden Harmonien, die keinen eine Tonart klärenden Zielpunkt finden. Nahtlos schließen sich Ligetis „Ramifications“ von 1968 an. Die klanglichen Reibungen und Versicherungen zweier vierteltönig gegeneinander verstimmten Streichergruppen treiben Haydns harmonische Suche in Umkreisungen, Vereinigung und dramatischem Auseinanderstreben der Stimmen auf die Spitze.

Ticcati gibt beidem, taktstocklos mit weitausgreifender Körpersprache, auch eine sichtbare Dimension. Wenn anschließend etüdenhafte, sich in überdrehtem Tempo überschlagende Spieluhrmusik vom Tonband eingespielt wird, dann parodiert das ebenso klassische Virtuosität wie Ligetis artifizielles Stimmgeflecht.

Vier Doppelgänger

Doch das macht reinen Klangerforschung, alle Windungsmöglichkeiten ein wenig redundant auskostend, nicht halt. Das dreißig Jahre später entstandene „Hamburgische Konzert“ für Horn und Kammerorchester hinterfragt die Konzertform allein dadurch, dass dem Solisten Alec Frank-Gemmill (dankens- und bewundernswerterweise kurzfristig für Paolo Mendes eingesprungen) gleich vier „Doppelgänger“ zur Seite gestellt werden.

Mit atemberaubender Virtuosität klettern die fünf Naturhörner zu schwindelerregenden, fast ungreifbaren Obertönen hoch. Vor allem besticht eine Farbigkeit, in der mit den Hörnern mit sensiblen Klarinetten und feinen Streicherlinien zur neuen Einheit verschmelzen.

Die „Macabre Collage“, eine Orchestersuite nach Ligetis einziger Oper „Le Grand Macabre“, verbannt wiederum alle Sensibilität: Autohupen eröffnen eine krude Thematik, aus denen sich eine Art „Eroica“-Parodie herausschält. Grell und „geschmacklos“ geht es zu, obwohl die vorsorglich angekündigte „Explosion“ aus technischen Gründen ausfällt.

Und doch läuft Haydns Sinfonie „Il Distratto“ (Der Zerstreute), eigentlich eine Schauspielmusik, Ligeti hier den Rang ab. Äußerst plastisch organisiert Robin Ticciati typische Abläufe für „Theaterdonner“. Nach einer „Gewittermusik“ im Prestissimo dürfen die Musiker in Jubel ausbrechen - und mit ihnen das Publikum, obwohl danach noch ein scheinheilig sanftes Adagio folgt.

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