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Rodolfo Enrique Fogwill: Der Bau der heiligen vier Könige

Rodolfo Enrique Fogwill schickt in seinem mitreißenden Roman "Die unterirdische Schlacht" argentinische Falklandkrieger ins Reich der Maulwürfe.

Ein Pichiciego ist eine Mischung aus Maulwurf und Gürteltier, das unter verschiedenen Namen wie Mulita, Peludo oder Viscacha in den argentinischen Provinzen lebt. Wichtig ist, dass es sich um ein nachtaktives Tier handelt, das eine harte Schale besitzt und unter der Erde seine Höhlen baut. Deswegen können sich die zwei Dutzend junger Männer, die sich selbst einen unterirdischen Bau in den Berg gegraben haben, mühelos in ihm wiedererkennen. In ihrem Pichi-Bau wollen sie einem Krieg entgehen, von dem sie nicht viel verstehen. Nur, dass er ihr Leben bedroht.

Mit „Die unterirdische Schlacht“ hat sich Rodolfo Enrique Fogwill in die erste Reihe der argentinischen Schriftsteller katapultiert. Das heißt schon etwas in einem Land, das mit Autoren vom Schlage eines César Aira, Tomás Eloy Martínez oder Ricardo Piglia gesegnet ist. Seinen bekanntesten Roman will Fogwill in nur sechs Tagen im Juni 1982 geschrieben haben. Die Angaben über die in diesem Zeitraum konsumierte Menge an Kokain gehen auseinander. Allerdings war es eine gewöhnlichere Droge, die Zigarette, die dem 69-Jährigen die Lunge ruiniert und ihn schließlich umgebracht hat. Am 21. August ist er in Buenos Aires gestorben.

Das ist nicht weiter erstaunlich, war Fogwill, der Soziologiedozent, Marketingfachmann und scharfzüngige Zeitungskolumnist, doch begeisterter Raucher und Trinker – und als solcher eher ein Fremdkörper in unserem Jahrhundert mit seinem Typus des joggenden und Wasser trinkenden Dichters. Das eigentlich Erstaunliche ist, dass es sein grandioses Buch über eines der schlimmsten argentinischen Traumata der letzten Jahrzehnte, den Falklandkrieg, bisher auf Deutsch nicht gab.

Die Pichis sind im Grunde eine Schöpfung von vier argentinischen Soldaten, die beschließen, diesen Falklandkrieg zu überleben. Anstatt sich der Obhut ihrer inkompetenten Vorgesetzten anzuvertrauen, entfernen sie sich von der Truppe und begründen ihr eigenes unterirdisches Reich: Viterbo, der Ingenieur, der Türke und Quiquito. Als vier heilige Könige oder Magier haben sie sich selbst ermächtigt und führen das Regiment über etwa zwanzig Soldaten.

Tagsüber besteht ihre Tätigkeit darin, sich nicht blicken zu lassen, um den Eingang zum Pichi-Bau nicht zu verraten. Nachts gehen sie ihren Tauschgeschäften nach. Die Pichis handeln mit den Briten. Sie bekommen Vorräte aller Art – Zucker, Tee, Zigaretten, Batterien – und liefern kleine Sabotageakte an den argentinischen Streitkräften. Nein, die Pichis sind kein patriotischer Verein. Sie sind neunzehnjährige Soldaten, die nicht wissen, warum sie in diesem Krieg verheizt werden sollen.

Was sie umtreibt, sind ihre Erfahrungen mit der subpolaren Kälte auf den Inseln vor Patagonien und der allgegenwärtigen Angst. Angst vor der überlegenen britischen Kriegstechnik mit ihren Raketen, Flugzeugen und Helikoptern. Angst, auf eine Mine zu treten und zerfetzt zu werden wie die herumirrenden Schafe. Und Angst vor der Angst. Ihre Gespräche drehen sich ums Essen, Wärme und den Gestank, weil es in ihrem Bau längst kein Pulver für die Chemietoilette mehr gibt.

Rodolfo Ebrique Fogwill erzählt, das scheint sich in Argentinien seit Borges und Cortázar so zu gehören, sehr bewusst. Anfangs gibt es nur eine Figur, aus deren Sicht berichtet wird, nämlich Quiquito, einen der Könige. Erst nach der Hälfte des Textes tritt immer nachdrücklicher der eigentliche Erzähler in Erscheinung. Ein Schriftsteller, der Quiquito nach dem Krieg interviewt, die Gespräche auf Kassetten aufnimmt, mitschreibt. Er glaubt, das Aufschreiben führe zum Wissen. Nichts weißt du, bescheidet ihn Quiquito.

Nichts erfährt man – als Leser – auch vom Rahmen der Handlung: nichts von den jahrhundertealten Querelen um die Falklandinseln, die Islas Malvinas, die Junta-Chef Galtieri im April 1982 besetzen ließ. Nichts davon, dass Galtieri vaterländische Erfolgsmeldungen brauchte, um von der Wirtschaftskrise abzulenken und die Frage nach den 30 000 Menschen zu ersticken, die unter dem Militärdiktator Videla in den vorangegangenen Jahren verschwunden waren. Auch dass die argentinische Niederlage nach 72 Kriegstagen und etwa 900 Toten das Ende der Militärdiktatur einläutete, wird verschwiegen. Fogwill erzählt in vielen Nahaufnahmen und verzichtet auf jegliche Totale. Und so, ganz ohne rationale Leitplanken, tritt der Wahnwitz des Kriegs nur umso intensiver hervor.

„Ein Pichi“, heißt es in der Selbstbeschreibung, „hortet, baut aus und hält durch“. Das stimmt – aber es ist ohne Belang. Pichis waren immer schon Tote auf Abruf. Sie gelten als gefallen – oder werden als Deserteure erschossen. Und dass ausgerechnet Quiquito dem Schriftsteller seine Erlebnisse diktiert, hat seinen Grund: Er ist der einzige Überlebende.

Am letzten Tag des Kriegs sterben alle Pichis, die sich noch nicht den Briten ergeben haben, an Giftgas, das sich in ihrem Bau ausgebreitet hat. Nichts haben sie gewonnen mit ihrem stolzen, kleinen, fast ein wenig souveränen Universum. Der Pichi-Bau wird mit der Zeit von der Natur zurückerobert werden. Und es wird sein, als habe es ihn nie gegeben. Das Tier, ein Pichiciego, kommt übrigens, einmal umgedreht, von allein nicht wieder auf die Beine.

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