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Der britische Schriftsteller Geoff Dyer

© Marzena Pogorzaly / Du Mont Verlag

Roman von Geoff Dyer: Enttäuschungen sind meine Siege

Auf den Spuren von Gauguin und Adorno. In "White Sands" erzählt der britische Autor Geoff Dyer Geschichten vom Reisen.

Geoff Dyer, der mit „But Beautiful“, seiner poetischen Hommage an den Jazz, bekannt wurde, scheint über schier grenzenlose Interessen zu verfügen. Keines seiner Bücher ähnelt dem anderen. Mal erzählt der 1958 geborene Brite von einem Kunstkritiker, der sich im Biennale-Zirkus von Venedig verirrt, mal von Andrei Tarkowskis Film „Stalker“, mal von der Unmöglichkeit, eine Studie über D.H. Lawrence zu verfassen. Immer aber schreibt er dabei auch über sich. Oder besser: über das, was einen zu dem macht, was man ist, die Kunst und die Neugier, die Widersprüche und Einbahnstraßen, in die man leichtfertig einbiegt.

„White Sands“ macht da keine Ausnahme. Hier geht Dyer auf Reisen in andere Länder und in die Welt der bildenden Kunst. Er lässt sich von Plattencovern inspirieren, sucht nach dem Nordlicht und dem Zauber von Landart-Werken wie den „Lightning Fields“, einem Lichtprojekt in New Mexico. Er begibt sich auf die Spuren Gauguins in Polynesien und auf die von Adorno im kalifornischen Exil. Und all das mit großem Assoziationsreichtum. Man hat manchmal den Eindruck, Dyer habe zwar, wie ein Jazzmusiker, ein Gerüst. Dann aber ist alles möglich, nichts ist vorhersehbar.

Fiktion und Dokumentarisches greifen ineinander

Dyers Ton ist trotzdem immer wiederzuerkennen: Seine Geschichten bewegen sich an jener feinen Grenzlinie zwischen Komik und Melancholie. Der Humor kann dabei durchaus etwas Bitteres haben, die Schwermut etwas Leichtes. Und auch „White Sands“, eine „Mischform aus fiktionaler Erzählung und Sachbuch“, ist kein Reiseführer ins Glück. Das Buch macht vielmehr charmant mit dem Flüchtigen, mit dem Verschwindenden und sogar dem eigenen Verschwinden vertraut.

Der Sachbuchcharakter des Buches lässt sich leicht benennen: Die durch die internationale Tourismusindustrie an Einzigartigkeit verlierenden Orte, an die Dyer uns mitnimmt, sind real. Alles andere aber – die idiosynkratischen Einschätzungen des Gesehenen – hat mit Dyers speziellem Blick zu tun. Die sich in China sanft entspinnende Liebesgeschichte, eher eine romantische Schwärmerei, greift ins Fiktionale hinüber. Die Titelgeschichte „White Sands“ ist eine klassische Shortstory: Darin erzählt Dyer von einer Autofahrt mit seiner Frau auf dem Highway 54 nach El Paso. Sie gabeln einen schwarzen Anhalter auf, mit dem sie am Anfang noch munter plaudern. Die Stimmung ändert sich schlagartig, als alle drei ein Schild am Straßenrand registrieren: „Keine Anhalter mitnehmen. Vollzugsanstalten in der Nähe.“ Welche Gedanken den Reisenden nun durch den Kopf purzeln, kann man sich ungefähr vorstellen. Dyer entwickelt in dieser Geschichte tatsächlich Suspense. Und er wirft moralische und existenzielle Fragen auf, die weit über das hinausführen, was Reisebücher sonst zu bieten haben.

Enttäuschung als produktives Moment

„Woher? Wer? Wohin?“ heißt nicht umsonst eine andere Erzählung, in der Dyer an die Lebens- und Wirkungsorte des Künstlers Gauguin fährt. Während dieser Tour denkt er darüber nach, was der Unterschied zwischen einer religiösen und einer säkularen Pilgerschaft sein könnte: „Letztere“, so heißt es schließlich, „birgt immer das Potenzial der Enttäuschung. Dieser Einsicht folgte eine zweite auf dem Fuß: dass meine enorme Fähigkeit zum Enttäuschtwerden in Wahrheit eine Errungenschaft, ein Sieg war. Das niederschmetternde Ausmaß meiner Enttäuschungen belegte, wie viele Wünsche und Erwartungen ich noch immer an die Welt richtete, wie groß meine Hoffnungen noch immer waren. Bin ich nicht länger zur Enttäuschung fähig, ist die Romantik dahin: Ebenso gut könnte ich tot sein.“

Der Tod klopft im letzten Text dann an die Tür: Gerade nach Los Angeles gezogen, ereilt den sportlichen Dyer ein leichter Schlaganfall. Nach der Erholung folgt die Erleichterung. Kurzzeitig ist durch den Miniinfarkt sogar dafür gesorgt, dass der Überdruss am Leben und jene produktive Fähigkeit zum Enttäuschtwerden abgestellt sind. Aber der Alltag kehrt zurück. Und eine Erkenntnis, die dieses Buch wie ein Motto beschließt: „Das Leben ist so interessant, dass ich gern für immer bleiben würde, nur um zu sehen, was passiert, worauf das alles hinausläuft.“

Geoff Dyer: White Sands. Erlebnisse aus der Außenwelt. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. DuMont Verlag, Köln 2017. 254 Seiten. 24 €.

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