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Rosenkavalier: Monster Ochs

Kein Platz für die Liebe: Christof Nel traut bei seinem "Rosenkavalier" in Hannover am Ende seinen eigenen Fragen nicht mehr.

Was wird aus Ochs? Normalerweise ist das nicht die Frage. Normalerweise ist Ochs der Trampelbaron vom Lande, zum Platzen stolz auf blaues Blut und Manneskraft, der sich im dekadent verfeinerten Wien danebenbenimmt und am Ende kuschen muss. In Hannovers neuem "Rosenkavalier" ist er ein Hüne von bedrohlicher Präsenz (Albrecht Pesendorfer), und sein Gefolge sind nicht nur Lümmel, "vom Rübenacker weg in die Livree gesteckt", wie Strauss und Hoffmansthal das vorsahen. Sadistische Soldateska in Reitstiefeln lässt Regisseur Christof Nel im Palais des Brautvaters wüten. Während Bräutigam Ochs schon mal den Seitensprung plant, unterziehen seine Leute den zierlichen Hausarzt ausführlichen Misshandlungen, die um so grausiger sind, als sie halb im Schatten spielen, halb angedeutet werden. Dazu charmanter Walzertakt.

Beklemmend ins Kollektiv weitergeführt erlebt man in diesem zweiten Akt die Menschenverachtung des Ochs, der seine Braut wie ein Mädchenhändler prüft. Ist es ein schwarzes Hemd, das er trägt, oder ein Schwarzhemd, wie es Italiens Faschisten trugen? Solche Assoziationen erzwingt Nel nicht. Doch dem weltfernen Schutzraum, als den man diese Oper gern genießt, reißt er die Wände weg. Die fehlen dem Bühnenraum ohnehin von Anfang an. Von einer überdimensionalen Gardinenleiste, die etwa die Linie eines in der Mitte gequetschten Ovals beschreibt, lässt Bühnenbildner Jens Kilian rot bespannte, verschiebbare Segmente herunterhängen. So entsteht ein Ort ohne Mitte, ohne Halt, von variabler Ausdehnung, und ein erster Akt, der immer etwas halb Geträumtes hat, etwas Provisorisches wie die Diener der Marschallin, die ihre Fräcke (entworfen von Barbara Aigner) auf blanker Haut tragen.

Über Nuancen, des Wandels der Gefühle, geht Nel grob hinweg

Um so realer wirkt die Liebe des ungleichen Paares: Kelly God ist eine Marschallin von matronaler Erscheinung und Stimme, Matilda Paulson ein rothaariger Oktavian, der mit zugleich herbem und geschmeidigem Mezzo keine Hosenrollen-Affektiertheit aufkommen lässt, sondern so androgyn wie authentisch wirkt. Es sind nur wenige Gesten, die uns die Zärtlichkeit der beiden zeigen, doch sie genügen. Fürs Erste. Was dann nicht genügt - und das erweist sich als das große Problem dieser Inszenierung -, ist die Entwicklung der Figuren. Eigentlich öffnet Richard Strauss ja mit unendlicher Feinheit den inneren Kosmos des Plots: Der Junge verliebt sich in eine andere, die reife Frau setzt sich mit Abschied und Alter auseinander. Über diese Geschichte der Nuancen, des Wandels der Gefühle, geht Nel zunehmend grob hinweg.

Leider kommt aus dem Graben auch wenig Anregendes. Hannovers GMD Wolfgang Bozic führt das Orchester zu einer soliden Leistung zweiten Ranges, der analysierende Raffinesse ebenso fehlt wie der große, sich mitunter von der Erde fortschwingende Bogen. Gleichwohl, die Noten sind da, mit denen Nel seine Perspektive hätte beleben können. Die Unbehaustheit der Liebenden, die Brutalität des Ochs wäre nachhaltiger, würden nicht nur Paukenschläge szenisch gespiegelt, würde ein dichtes Geflecht emotionaler Nuancen geknüpft. Weil es daran fehlt, bleibt vor allem die Liebe zwischen Oktavian und Sophie (eher rustikal: Dorothea Maria Marx) unterbelichtet. Im Finale stehen sie mitunter so ratlos händeringend da, als hätte Nel, der doch zu den Großen seines Fachs gehört, sie schlicht vergessen.

Vergessen scheint da aber auch die Frage, die der zweite Akt erzwang: Was wird aus Ochs? Wie wird umgegangen mit der Gewalt, für die er bei Nel steht? Genügt es, so ein Monstrum mit dem üblichen Mummenschanz im Beisl abzufertigen? Offenbar ja. Die geistvollste Überraschung verbirgt sich unter einer Servierglocke zum Souper: Der Kopf des Jochanaan aus "Salome" - der Oper, in der Strauss radikal jenes klingende Neuland erschloss, das er im "Rosenkavalier" genießbar macht. Diese Genießbarkeit hat Nel hinterfragen wollen. Doch nun traut er den eigenen Fragen nicht mehr. Wie geköpft eiert sein dritter Akt ins Ende, an dem noch schnell ein bisschen Bedrohung nachgereicht wird. Natürlich hätte Nel in Hannover auch für konsequenter und feiner realisierte Abgründe Buhs bekommen - aber vermutlich nicht so viele.

Volker Hagedorn

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