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Kultur: Rot-Rot in Berlin: Weltkiez in der Mitte. Peter von Becker über die PDS, Berlin und den designierten Kultursenator

Eines kann man der PDS gewiss nicht nachsagen: dass sie im Bund oder in Berlin jemals als Wirtschaftspartei angetreten wäre. Nein, es war Gregor Gysi, Zugpferd und Pegasus, der im Berliner Wahlkampf von einer anderen politischen Kultur gesprochen hatte - und dass Zukunftspolitik für die Hauptstadt vor allem die Förderung der blühenden (oder bedrohten) Künste und Wissenschaften bedeute.

Eines kann man der PDS gewiss nicht nachsagen: dass sie im Bund oder in Berlin jemals als Wirtschaftspartei angetreten wäre. Nein, es war Gregor Gysi, Zugpferd und Pegasus, der im Berliner Wahlkampf von einer anderen politischen Kultur gesprochen hatte - und dass Zukunftspolitik für die Hauptstadt vor allem die Förderung der blühenden (oder bedrohten) Künste und Wissenschaften bedeute. So avancierte Gysi zum bekanntesten Kulturpolitiker Deutschlands. Ihm fehlte nur noch das Amt.

Nun wird er Wirtschaftssenator. Das bedeutet mehr Macht. Und wenn es Gysi mit beredtem Einfallsreichtum gelingt, ein paar neue Investoren ins arme Berlin zu locken, ist das natürlich ein größerer Coup als die Werkstattfusion von zwei Opernschreinereien. Die Öffentlichkeit aber - auch jener Teil der jungen kulturellen Intelligenz und der Berliner Studenten, die wegen Gysi offenbar die PDS gewählt haben - sieht einen Etikettenschwindel. Wo Gysi draufstand, ist jetzt Flierl drin. Zum Thema Online Spezial: Rot-Rot in Berlin Umfrage: Flierl als Senator - Ist er der Aufgabe gewachsen?

Thomas Flierl, der sich nach dem Amt des Berliner Kultur- und Wissenschaftssenators nicht gedrängt hat, ist dritte Wahl. Das weiß er und sagt er selbst. Denn als der Machtspieler Gysi sich wider bessere Neigung für das Wirtschaftsressort entschieden hatte, wollte er und wollte die PDS Lothar Bisky. Auch er wäre auf dem Sessel des Kultursenators ein politisches Schwergewicht gewesen - und hätte als ehemaliger Rektor der Babelsberger Filmhochschule auch eine im besten Sinne bildungsbürgerliche Perspektive verkörpert, an der es der politischen Klasse aller deutscher Parteien fehlt. Deswegen sind Kultur-Ressorts, nicht nur in Hamburg, heute so schwer zu besetzen. Mit Gysi und Bisky wäre die PDS-Riege im neuen Berliner Senat zumindest personell schwer zu toppen gewesen. Ungeachtet einmal aller ideologischer Gegensätze hätte man dann kaum mehr von Hauptstadtprovinzialismus oder politischer Laubenpieperei sprechen können. Doch Lothar Bisky hat vorgestern im letzten Augenblick abgesagt. Er bleibt Fraktionschef im Potsdamer Landtag, ein ruhigerer Job, und plant bereits seinen Ausstieg aus der Politik.

Thomas Flierls Einstieg dagegen wird superhart. Und bedeutet zuallererst eine Ernüchterung. Auch für die PDS und ihr durch das Sympathisantenmilieu der Schriftsteller und Künstler, von Volker Braun bis Frank Castorf, geprägtes Kultur-Image. Bisher war man auch eine Luft- und Lustnummer: Die Dekonstruktion von Stalinismus und Kapitalismus vereinte sich mit einem postsozialistischen Trotz- & Motzkismus zu jener symbolischen Subventionskulturrevolution, wie sie an ihren besten Abenden die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz präsentiert. Mit Thomas Flierl, dem Ex-Kulturamtsleiter vom Prenzlauer Berg und Baustadtrat Mitte, ist man fürs erste am Boden angekommen. Als es mit der Radunski-Zeit Ende der 90er Jahre zu Ende war und im Bund der Kulturstaatsminister Michael Naumann bereits erfunden, da sollten Köpfe wie Wolf Lepenies künftig Maßstab für das Haupt der Hauptstadtkultur sein. Jetzt indes wirkt die Sache etwa so, wie wenn der Kanzler den Direktor der Volkshochschule Lüdenscheid zum Kulturstaatsminister ernannt hätte. Das sagt noch nichts gegen einen Unbekannten, gegen einen Aufsteiger. Aber man denkt doch in Zeiten, in denen man sich große Sprünge nicht gut leisten kann, dass etwas mehr Bewährung vor der Berufung in ein solches Amt nicht geschadet hätte. Und so war Thomas Flierl zunächst als möglicher Staatssekretär im Gespräch - das ist ein Unterschied.

Berlin ist pleite. Und Berlins Kulturszene im europäischen Rang doch nur mit Paris und London vergleichbar. Dieser Kontrast zwischen Kasse und Klasse fordert von der dazwischen vermittelnden Politik über den selbstverständlichen Sachverstand hinaus auch: einen gestalterischen Scharfsinn und Einfallsreichtum, der Fantasie mit realistischer Kühnheit verbindet. Beispielsweise bedürfte es endlich wieder offensiver Erwägung, wo trotz aller Schulden mit Gewinnaussicht zu invenstieren ist: in Wissenschaftsinstitutionen, in Kultureinrichtungen und städtebauliche Veränderungen, die dem Bild und Selbstbild einer Hauptstadt jene Ausstrahlung verleihen, die neue Kräfte, geistige und wirtschaftliche, anlockt - und das psychologische Klima innerhalb der Ost-West-Stadt entkrampft oder gar beflügelt.

Das ist die Herausforderung, an der Thomas Flierl jetzt, unterstützt von Gysi und dem kulturinteressierten Regierenden Bürgermeister, nur noch wachsen kann. Noch aber liegt statt Aufbruchstimmung ein rotgrauer Mehltau über der sich neu formierenden Hauptstadt-Kulturpolitik. Das zeigen auch Ton und Inhalt der offenkundig bereits von der PDS formulierten Koalitionsvereinbarungen zur Berliner Kulturpolitik (Tsp vom 9. 1.). Vom Prenzlberg betrachtet, mutet die oft zitierte "Kulturmetropole" nur noch als Weltkiez an. Flierl muss darum alles tun, den Ruf des postsozialistischen Dorfschulzen, der die Errungenschaften noch der trostlosesten DDR-Baukunst unterm Signum "Denkmalschutz" bewahren wollte, schnellstwendig abzustreifen. Andernfalls gerät, am Boden angekommen, das Turnen dort auch zu west-östlichen Grabenkämpfen. Und Berlin hätte beim Bund und den Ländern auch seinen besten Kredit verspielt.

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