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Kultur: "Rückkehr des Odysseus": Eine grandiose Aufführung und eine verkühlte "Così fan tutte"

Der Mistral gehört in Aix-e-Provence zum Lokalkolorit wie Cézanne und der Knoblauch - aber diese Windstärke war noch nicht dagewesen. Peter Pabsts Trauerweide im Hof des erzbischöflichen Palastes rauschte bedenklich.

Der Mistral gehört in Aix-e-Provence zum Lokalkolorit wie Cézanne und der Knoblauch - aber diese Windstärke war noch nicht dagewesen. Peter Pabsts Trauerweide im Hof des erzbischöflichen Palastes rauschte bedenklich. Fiordiligi (Alexandra Deshorties) und Dorabella (Liliana Nikiteanu) zogen zitternd ihre dünnen Negligées an sich, denn auch die Temperatur war plötzlich gefallen. Während leichtbekleidete Damen aus dem Parkett flüchteten, betrachtete der ausharrende Teil des Publikums voller Neid Ferrando (Jeremy Ovenden) und Guglielmo (Stephan Genz), die in dicken Bärenfellen überkreuz um ihre Verlobten warben. Freilichttheater haben eben ihren Preis.

Pabst, der seit zwei Jahrzehnten Bühnenbilder für Pina Bausch baut, hatte diesmal eine chinesische Märchenlandschaft ersonnen - vermutlich inspiriert durch die Herkunft des Regisseurs Chen Shi-Zheng. Der in Amerika lebende Exil-Chinese war vor drei Jahren durch die Ausgrabung des "PäonienPavillons" weltberühmt geworden, einer klassischen chinesischen Oper, die noch mehr Zeit in Anspruch nimmt als Wagners "Ring". Mit Mozart hatte er, wie er freimütig einräumt, bisher nichts zu tun. Chen hatte in Interviews angekündigt, er wolle die "überlegene Intelligenz" der Frauen feiern.

In der Mitte der Bühne sind die Seitenlinien eines Boxrings oder eines Schachbretts angedeutet. Kampf der Geschlechter also? Auch dieses - immerhin vertretbare - Konzept wird nicht durchgehalten. Stattdessen bekommt man ein Feuerwerk inkohärenter Einfälle zu sehen. Chen hat offenkundig Freude an sexueller Drastik. Sie sei ihm unbenommen, doch passt sie schlecht zur Eleganz der Musik. Dass er das Qui-pro-quo von Anfang an breit als Farce ausspielt, geht in Ordnung. In einer Farce ist alles erlaubt - vorausgesetzt, das Publikum lacht. In Aix lacht niemand.

Musikalisch steht der Abend auf hohem Niveau. Der Mozart, den René Jacobs und das Concerto Köln auftischen, blickt nicht vorwärts zur Klassik, sondern rückwärts zum Barock. Der Klang der "Originalinstrumente" und der gestochen scharfe Zugriff, der das Gerüst der Musik bloßlegt wie eine Röntgenaufnahme, sind gewiss nicht jedermanns Sache. Aber eine anregende Alternative zum traditionellen Mozart sind sie allemal. Die Sänger sind jung, agil und unverbraucht. Ihnen zuzuhören, vor allem Don Alfonso (Pietro Spagnoli), ist ein Vergnügen. Nur für die großen emotionalen Ausbrüche fehlt die Kraft.

In einer Hinsicht muss der Saisonbeginn historisch genannt werden. Alfa Romeo hatte für das harte Holzgestühl Kissen gestiftet. Eine zweite historische Tat war die Wiedereröffnung des Théâtre du Jeu de Paume, eines der raren Barocktheater, die in Frankreich noch erhalten sind. 485 Zuschauer finden im Parkett und in den drei Rängen Platz, im Orchestergraben höchstens 30 Musiker. Das warme Rot der Wände und die Intimität des Raumes stimmen schon festlich, bevor William Christie vom Continuo an der linken Seite des Grabens die Hand zum ersten Einsatz hebt.

Christie, der Wahlfranzose aus Buffalo, der mit seinen "Arts Florissants" halbvergessene Meisterwerke von Lully und Rameau wiederbelebte und mustergültig aufführte, hat in Paris eine peinliche Niederlage einstecken müssen: Beim Kampf um die Intendanz der Opéra Comique zog er den kürzeren; der Traum von einem ausschließlich der vorklassischen Musik gewidmeten Theater war rasch wieder ausgeträumt. Nun soll Jérôme Savary das traditionsreiche Haus wieder auf Vordermann bringen.

In Aix hat William Christie allerdings keinen Grund zur Klage. Ein passenderer Ort für seine neue Premiere ist schwerlich zu denken. Experten mögen darüber streiten, ob seine schlichte, geradlinige Rekonstruktion von Claudio Monteverids "Rückkehr des Odysseus" der historischen Wahrheit näher kommt als Harnoncourts "barockere" Fassung. Bei Monteverdis dritter Oper ist die Quellenlage noch schütterer als bei den anderen. Jede Ausfüllung der Lücken kann nicht mehr sein als ein educated guess. Das Ergebnis ist jedenfalls ein Triumph. Mag die Vorstellung von der edlen Einfalt und stillen Größe der alten Griechen auch eine Illusion sein - wenn Claudio W. Montechristie das Hohelied der ehelichen Treue anstimmt, ist man geneigt, an die Illusion zu glauben.

Dass die "Arts Florissants" ihr Handwerk perfekt beherrschen, ist bekannt. In Aix hat es Christie aber auch mit den Sängern gut getroffen. Die meisten der 22 Rollen werden von einem jungen Ensemble adäquat, einige hervorragend gesungen - allen voran die Serbin Marijana Mijanovic, die nicht nur über einen samtigen Mezzo verfügt, sondern es auch versteht, aus der wartenden Penelope eine rührende Figur zu machen. Mit ihrem knabenhaft schmalen Körper und ihrem interressanten Profil sieht sie aus wie eine der Damen der Gesellschaft, die Whistler und Sargent malten. Hier bahnt sich zweifellos eine große Karriere an.

Dass Penelope ihrem Odysseus, dem - gleichfalls vorzüglichen - Kroaten Kresimir Spicer, auch privat verbunden ist, beweist, dass die Musik manchmal doch stärker ist als die Politik. Regisseur Adrian Noble und Bühnenbildner Anthony Ward, beide der Royal Shakespeare Company zugehörig, erheben die Schlichtheit zum Prinzip. Zwei ockerfarbige Mauern, einige Vasen aus Terracotta, ein paar Schnurvorhänge - damit ist die Welt von Ithaka schon beschworen.

In den letzten Jahren hat sich der Charakter des Festivals von Aix deutlich verändert. Wie Gerard Mortier in Salzburg will Stéphane Lissner, der es seit 1998 leitet, von der bequemen Formel des kulinarischen Starrummels wegkommen und den Zuhörer fordern. Pädagogische Randveranstaltungen laden dazu ein, tiefer in die Werke einzudringen. Jungen Musikern werden Meisterklassen angeboten, in diesem Jahr mit William Christie und Pierre Boulez an der Spitze. Noch ist es zu früh, über den Erfolg der neuen Formel zu urteilen. Im vergangenen Jahr sank die Auslastung der Theater von 98 auf 92 Prozent. In diesem Jahr fällt der Andrang von Nichtfranzosen auf, besonders von Deutschen. Sollte es ein Publikum geben, das der abgegrasten Weide müde ist und nach Neuland begehrt? Die Zukunft wird es lehren.

Jörg von Uthmann

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