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Kultur: Rückzug in den Garten

Strände? Stände! Die Bundeskunsthalle Bonn zeigt Max Liebermann als Sozialkritiker – und als Bourgeois

„Haben Sie vielleicht das Bild gesehen?“, fragt ein Mann im Anzug und eilt schon weiter. Man könnte meinen, „Die Gänserupferinnen“ seien ihm persönlich abhanden gekommen.

Dabei hängt seine ratlose Suche mit dem Vortrag zusammen, den Robert Fleck eben gehalten hat: Das monumentale Gemälde, so der Direktor der Bundeskunsthalle, sei zentral für die Entwicklung Max Liebermanns. 1872, als es entstand, wurde der Berliner Künstler für seine naturalistische Wiedergabe der Bäuerinnen von der Kritik heftig angegriffen. Zu gewöhnlich war das Sujet für eine Gesellschaft, die in Gemälden am liebsten ihr eigenes großbürgerliches Leben gespiegelt sah. In der Bonner Retrospektive aber klafft ein Lücke, wo das Bild Aufschluss über die frühen Versuche des Malers geben könnte, das harte Leben der Landbevölkerung ohne idyllische Arabeske zu schildern. Berlin hat es aus konservatorischen Gründen nicht herausgegeben.

Überhaupt scheinen die Vorbereitungen zur Ausstellung „Max Liebermann – Wegbereiter der Moderne“ einigen Zwängen unterworfen gewesen zu sein. Aus der Hauptstadt sind zwar mehrere Papierarbeiten dabei. Doch die typischen Szenerien am Meer und Favoriten des Publikums hängen derzeit in einer Sonderausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee. Fleck wiederum kooperiert eng mit der Hamburger Kunsthalle und legt damit den Fokus auf Werke aus dortigem Besitz. Darunter sind Bilder wie „Die Netzflickerinnen“ (1887–1889), das ausgerechnet Wilhelm von Bode nach Hamburg empfahl. Der damalige Generaldirektor der staatlichen Sammlungen zu Berlin hätte es 1889 gern selbst gekauft. Doch die konservativ gestimmte Ankaufsjury akzeptierte das von ihr geschmähte Werk nicht. Obwohl es im selben Jahr auf der Weltausstellung im fortschrittlichen Paris eine Ehrenmedaille gewann.

Natürlich, man wünschte sich die Gemälde beider Sammlungen zum Vergleich in der Schau, natürlich möchte man Liebermanns Schlüsselbilder im Original sehen, und natürlich ist ihre Abwesenheit ein Manko. Andererseits wiegt es gar nicht so schwer, dass Fleck in seiner Ausstellung kaum Strandspaß und eher solche Gartenansichten versammelt, in denen der Maler alles Gegenständliche auflöst. Auch das Publikum scheint es nicht zu stören. Die Bundeskunsthalle vermeldet schon nach wenigen Wochen bemerkenswerte Zahlen. Was allerdings auch daran liegen mag, dass Liebermanns Garten am Wannsee auf dem Dach der Halle teilweise rekonstruiert wurde und man nun durch ein Stück Vergangenheit flanieren kann. Genau wie in der gut hundert Arbeiten umfassenden Schau, die den Maler von einer etwas anderen Seite zeigt – allein wegen der Akzentverschiebung.

An die Stelle fröhlicher Freizeitbilder rückt der „Sitzende Bauer in den Dünen“ (1895). Ein müder Mann, den ein Gestrüpp aus Farbe umgibt. Der Himmel ist fahl und scheint der Landschaft alle Kraft zu rauben. Vom immer wieder apostrophierten Einfluss der Impressionisten ist wenig zu spüren. Viel mehr streicht die Bonner Auswahl heraus, dass Liebermann seine Sujets nicht nach dem Vorbild der Franzosen in Licht und Farben auflöst, sondern die Gegenstände mithilfe des Tageslichts auf seinen Gemälden plastisch herausarbeitet. Liebermanns Vorbild sei eher Edouard Manet, erklärt Fleck. Bei Bildern wie dem von Tochter „Eva“ (1882), die den Betrachter aus leuchtend blauen Augen unverwandt anschaut, glaubt man das sofort. Nicht aber im Angesicht von Liebermanns Spätwerk. Sein Rückzug in den Garten verengt den Blick bis zum eigenen Zaun. Jenseits davon scheint den Maler wenig zu interessieren. Das urbane Leben, das er in repräsentativen Gemälden und Porträts bedeutender Auftraggeber noch festgehalten hat, schon gar nicht mehr. Allein die Schönheit der Blumen aber fängt das Abgründige des modernen Lebens nicht ein, das in Manets Kompositionen stets eine Rolle spielt.

Auch diese Einsicht gewinnt man in der Ausstellung, die thematische Blöcke schafft und dabei chronologisch verläuft. Ebenso, dass Liebermann sich früh für soziale Themen wie auch für neue malerische Strömungen interessierte und akademische Bedenkenträger überhörte. Dass er auch andere Milieus als das eigene studierte und einfühlsame Szenen etwa aus holländischen Waisenheimen schuf. Doch um 1900 verlagert sich das Interesse, Liebermann wird ganz zu jenem „Bourgeois“, als den er sich selbst bezeichnete. Die Welt der Reichen und Schönen hat ihn zurück, die kritischen Blicke von früher verkneift er sich.

Bundeskunsthalle Bonn, bis 11. September. Katalog 29,95 €

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