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Kultur: Ruhm ist unbezahlbar

Deutschland braucht eine unabhängige Filmakademie – nach europäischem und amerikanischem Vorbild

Wenn am Sonnabend der 15. Europäische Filmpreis in Rom vergeben wird, dann sind zwar – wie in so manchem Jahr – deutsche Filme nicht in der Endauswahl. Aber ein zumindest formaler Trost aus deutscher Sicht findet sich doch: Die Akademie, die den Sieger diesmal wohl in einem spannenden Foto-Finish zwischen den Europäern Kaurismäki, Polanski und Almodóvar ermittelt, residiert in Berlin. Wenn das nicht gleich wieder einen anderen deutschen Minderwertigkeitskomplex bedienen würde. Denn die Europäer betreiben allesamt nationale Filmakademien, die sich mehr oder weniger am großen, alten Bruder namens Oscar orientieren, nur die Deutschen melden hier seit Jahrzehnten Fehlanzeige. Da gibt es zwar den alljährlichen Deutschen Filmpreis, aber keine Deutsche Filmakademie.

Das soll anders werden, haben sich einflussreiche deutsche Produzenten rund um Bernd Eichinger gesagt – und kurz vorm letzten Deutschen Filmpreis im Juni eine öffentlichkeitswirksame Gründungsinitiative losgetreten. Nur: Gegründet ist sie bis heute nicht, die Deutsche Filmakademie, trotz einigen Rückhalts aus der Branche, und das hat seinen Grund. Denn die geplante unabhängige Branchen-Organisation will unbedingt die knapp drei Millionen Euro auf ihre Mühlen umleiten, die bisher der Staat alljährlich für den höchstdotierten deutschen Kulturpreis locker macht. Und für deren Verteilung er seit Jahrzehnten unabhängige Jurys beruft, die die beträchtlichen sechsstelligen Summen für nominierte und prämierte Filme satzungsgemäß nach künstlerisch-kulturellen Kriterien vergeben.

Man mag den Versuch, zwei gänzlich verschiedene Preismodelle im fliegenden Wechsel zu verschmelzen – hier die durch eine Jury zu ermittelnden dotierten Kulturtrophäen, dort die durch Branchen-Votum ausgelobten Hauptgewinne –, halsbrecherisch finden. Ein Unikum im europäischen, ja, wahrscheinlich im Weltmaßstab ist er allemal. Blicken wir nur auf unsere Nachbarn England, Spanien, Italien und Frankreich: Alle ihre nationalen Akademien vergeben undotierte Ehrenpreise. Und fast alle wollen ausdrücklich – schon aus Unabhängigkeitsgründen – keine staatliche Subventionen.

Beispiel England : Seit 1946 werden die Bafta-Awards der British Academy of Film and Television Arts vergeben. Rund 3500 Mitglieder wählen dort, sehr oscar-like, die jeweiligen Sieger in 21 Kategorien. Nur der beste Nachwuchsfilm bekommt dort eine Prämie von vergleichsweise bescheidenen 10000 Pfund. Die Akademie und die alljährliche Zeremonie – nächster Termin: 23. Februar – werden komplett von der Telefongesellschaft Orange gesponsert, die Gala wird live in BBC 1 übertragen.

Beispiel Spanien : Rund 850 Akademiemitglieder entscheiden, wiederum nach Oscar-Modell, seit 1987 alljährlich in 24 Kategorien über die Kandidaten, die sich über eine Goya-Statuette und viel Ruhm freuen dürfen. Der Staat ist – mit 120000 Euro – nur als einer von zahlreichen Sponsoren der Gala dabei. Das Fernsehen überträgt auch die nächste Veranstaltung am 1. Februar direkt, erwartet wird dazu wie immer das spanische Königshaus.

Beispiel Italien : Die 1955 gegründete, staatlich finanzierte Gesellschaft David di Donatello vergibt Statuetten, die der David-Statue in Florenz nachempfunden sind. 700 Mitglieder entscheiden über die Auswahl. „Die Preise sind nicht dotiert“, sagt Präsident Gian Luigi Rondi, „die Ehre ist weitaus wichtiger“. Die nächste Gala ist am 10. April in Rom, auch hier überträgt die RAI direkt.

Beispiel Frankreich : Die Verleihung der Césars bringt dem Sender Canal+ mit rund 12 Prozent seine alljährlich höchste Einschaltquote. 3150 Mitglieder stimmen wiederum nach Oscar-Modell ab, die Organisatoren legen Wert auf totale Unabhängigkeit vom Staat. „Das ist unsere große Tugend“, sagt César-Organisationschef Alain Cadier, „und das Modell funktioniert“. Die Vivendi-Tochter Canal+ kommt als Produzentin der Zeremonie für alle Kosten auf. Man trifft sich wieder am 2. März, der einzige – geringfügig – dotierte Preis wird erstmals ein Kurzfilm sein.

Angesichts solch eingespielter Strukturen wirkt die deutsche Initiative für eine Filmakademie merkwürdig schüchtern. Den Vorstößen bei Kulturstaatsminister Nida-Rümelin, der nach anfänglichen Vorbehalten die Pläne bald forsch befürwortete, folgt nun Antichambrieren bei seiner Nachfolgerin Christina Weiss. Auch sie signalisiert grundsätzliche Offenheit, aber die Töne klingen reservierter. Vor allem müsse rechtlich geprüft werden, heißt es, ob privatwirtschaftliche Institutionen – und Filmakademien nach Oscar-Modell sind genau dies – mit Bundesmitteln bedacht werden können. Schließlich sei und bleibe der Bund verantwortlich dafür, wie die Steuergelder dann ausgegeben würden. Derzeit geschehe dies mit den unabhängigen Jurys in einem „sicheren und transparenten Verfahren“.

Mehr noch: Der in der Satzung festgeschriebene Kulturauftrag wird – so kulturbewusst künftige Akademiemitglieder mitunter auch stimmen mögen – beim Votum einer einer Branchen-Akademie grundsätzlich planiert. Und nur mit diesem Ziel war der Deutsche Filmpreis überhaupt so üppig ausgestattet worden: damit gute Filmemacher mit dem Preisgeld weitere gute Filme machen mögen. Eine Akademie aber würdigt, wogegen nichts zu sagen ist, in einem plebiszitären Verfahren voraussichtlich in erster Linie den Erfolg. Geldpreise aus der Branche für die Branche sind da weder nötig noch hilfreich. Im Gegenteil: Fließt kein Geld, sind auch bei der Wahl sachfremde Schieflagen von vornherein ausgeschlossen.

Aus welchen Gründen auch immer: Die heißesten Verfechter der Akademie-Idee wirken derzeit lieber im Verborgenen. Keine Stellungnahmen jedenfalls für den Tagesspiegel, trotz verschiedentlicher Nachfrage. Auch Georgia Tornow, die als Generalsekretärin von film20, der „Pressure Group der führenden deutschen Film- und Fernsehproduzenten“ (Homepage-Zitat) noch im Sommer lautstark für die Akademie getrommelt hatte, mochte sich dieser Tage nicht äußern. Vielleicht ist es ja auch wirkungsvoller, im Stillen jenem Branchen-Zweifel entgegenzuarbeiten, den sie noch im Juli in einem Gastkommentar für „blickpunkt: film“ locker ausgeplaudert hatte: „Passt auf, dass der Bund nicht das Preisgeld streicht!“

Doch gerade das sollte er tun und dem Vorhaben so erst den Weg weisen. Denn Deutschland braucht eine Filmakademie – aber eine von internationalem Standard, die auf staatliche Mitnahmeeffekte verzichtet. Ja, sie könnte längst gegründet sein und spätestens 2005, wenn das Mandat der aktuellen Filmpreis-Jury abläuft, den deutschen Oscar richtig aus der Taufe heben. Denn er ist das Vorbild, an dem sich auch Bafta, Goya und César orientieren – bis hin zum überwältigenden nationalen Medienecho, an dem es dem Deutschen Filmpreis noch immer fehlt. Und der Millionen-Euro-Batzen des Staates könnte mühelos anderweitig der Filmförderung zugute kommen.

Die von den Akademie-Befürwortern geforderte Unterstützung der Politik sollte sich daher nur in einem sauberen Staffelstabwechsel artikulieren, von sauberen Verhältnissen zu sauberen Verhältnissen. Selbst die Europäische Filmakademie, die trotz ihrer 1500 Mitglieder nach wie vor im Schatten der nationalen Akademien steht, ist da ganz grundsätzlich. „So verlockend staatliche oder europäische Fördergelder als Dotierungen sind,“ fragt die EFA-Vorsitzende Marion Döring, „würden wir durch sie nicht unsere Unabhängigkeit aufgeben?“

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