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Kultur: Rund

Im Kino: Lothar Lamberts „Stehaufmädchen“

Fällt einem Filmemacher nichts Neues ein, muss er nur seine Weggefährten zusammenrufen, sie aus ihrem Leben erzählen lassen und das Ganze eine Dokumentation nennen: Diesen Eindruck erweckten auf der jüngsten Berlinale Rosa von Praunheim „New York Memories“ und Lothar Lamberts „Alle meine Stehaufmädchen“. In beiden Fällen war das Ergebnis besser als erwartet, vor allem bei Lambert, dem nichts Geringeres als eine Sittengeschichte der alten Bundesrepublik gelungen ist. Und das ohne explizit politischen Anspruch. Mag sein, dass nur ein Kaffeeklatsch geplant war – doch da die meisten Erzählungen aus weiblicher Sicht zwischen Adenauer-Ära und sexueller Revolution angesiedelt sind, ergibt sich die Gesellschaftskritik von selbst.

Lambert, dem wiederholt die Ausbeutung seiner Darstellerinnen vorgeworfen wurde, gibt elf von ihnen die Möglichkeit, selbst das Ruder zu übernehmen und ohne Drehbuchsätze und Regieanweisungen frei zu sprechen. Leider fehlt „Alptraumfrau“ Ulrike S., seine mit Abstand intensivste Darstellerin, während die Fotografin Erika Rabau längst mit einer Dokumentation geehrt worden ist und hier nichts Neues mehr zu erzählen hat. Lambert selbst huscht nur gelegentlich durchs Bild. Seine Leistung besteht im gekonnten Zusammenschneiden des Materials. Obwohl die elf Lebensläufe in nur 80 Minuten vorgestellt werden, wirken die Episoden ausführlich und entspannt.

Lamberts Frauen: Das sind etwa die Kunstkuratorin Anne-Marie, die im Mai 1968 nach Paris ging und später in der DDR studierte; die Radiomoderatorin Claudia, die von der Klosterschule flog, weil sie sich die Röcke kürzte; die Malerin Evelyn, die die DDR verließ, weil sie dort nicht Kunst studieren durfte, und die an westlichen Unis als Klassenfeindin beschimpft wurde; die Pensionswirtin Isolde, in deren Etablissement man „Cabaret“ aufführen könnte.

Nur gegenüber Ilona, einer vom Leben arg gebeutelten Hauswartsfrau mit 14 Enkeln, erlaubt sich Lambert eine Taktlosigkeit. Wenn sie erzählt, wie sie einen Vergewaltigungs- und Mordversuch überstanden hat, zerstückelt er den Bericht und beraubt ihn seiner Intensität. Ansonsten ist „Alle meine Stehaufmädchen“ eine runde Sache. Der gemeinsame Nenner? Die Rebellion gegen eine repressive Sexualmoral, die jede der Frauen auf ihre Weise überwunden hat. Frank Noack

Kino in der Brotfabrik

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