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Kultur: "Russische Hochzeit": Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Russische Filme können in ihrem Kunstwillen manchmal schrecklich langweilig sein. Meist spricht die Kritik dann von Tschechow, alles ist sehr allegorisch gemeint und zum Inventar gehört neben Kristallglas und Spitzendeckchen unbedingt ein altes Grammophon.

Russische Filme können in ihrem Kunstwillen manchmal schrecklich langweilig sein. Meist spricht die Kritik dann von Tschechow, alles ist sehr allegorisch gemeint und zum Inventar gehört neben Kristallglas und Spitzendeckchen unbedingt ein altes Grammophon. Solch ein Film ist "Russische Hochzeit" nicht, auch wenn Tschechow durchaus erwähnt wird. Aber das ist nur ein ferner Verweis auf die "Drei Schwestern". Schließlich spielt auch dieser Film in der russsischen Provinz. Und auch hier träumt manch einer von Moskau. Und ausgerechnet Tanja (Maria Mironowa) ist gerade aus der Hauptstadt zurückgekehrt, wo sie ein Model werden wollte, "Sofia Loren" rufen die Männer ihr nach, als sie aus dem Überlandbus steigt. Doch Tanja ist ein gutes Mädchen. Abends in der Disco bittet sie ihren Jugendfreund Mischa um die Ehe. Der sagt einfach ja. Und schon ist die Dorfwelt in Aufruhr.

Die Hauptstadt-Episode nämlich beschert der Dorfschönheit einen durchaus zweifelhaften Ruf. Mischa (Marat Bascharow) dagegen ist ein antändiger Junge aus einer verdienten Bergarbeiterfamilie. Aber arm. Monatelang schon wurde kein Lohn mehr ausgezahlt. Jetzt ist das Elend groß. Wie soll Papa die Hochzeitsfeier bezahlen? Denn die Ansprüche an das Fest sind hoch, und die Gästeliste umfasst das ganze Dorf. "Russische Hochzeit" beschreibt Vorbereitung und Durchführung dieser Hochzeitsfeier. Und er schildert mit humorvollem Blick ein Stück Alltag in der Provinz, wo der Abstand zwischen dem Bemühen, an Geld heranzukommen und dem Ausgeben desselben auf ein Nichts zusammengeschrumpft ist. Alkohol, der Raub von Ohrringen samt dazugehöriger Verhaftung und Konflikte mit der neuen Elite spielen dabei zentrale Rollen. Denn irgendwann reist auch noch Tanjas Moskauer Gönner an, ein Neureicher aus dubiosem Geschäften. Doch die Hauptrolle hat das Fest. Da wird gefeiert, ausgiebig und exzessiv.

Ist diese knallbunte Mischung aus Darben und Lebenslust nun realistisch? Oder doch nur ein weiteres Stückchen russischer Folklore? Immerhin hat der mittlerweile in Paris lebende Regisseur Pawel Lungin mit seinen bisherigen Filmen "Taxi Blues" und "Luna Park" gezeigt, dass er sich durchaus für die Wirklichkeit interessiert. Leider hat dieser Film eine osteuropäische Kino-Krankheit geerbt, die sich vielleicht als Patriarchalismus mit Gönnergeste bezeichnen ließe. Ihren schärfsten Ausdruck findet sie hier in der Figur der aus der ukrainischen Großstadt Charkow angereisten Tante der Heldin, die ihre filmgewollte Vergewaltigung mit Luststöhnen zur Beglückung umdekorieren muss. Lungin, darauf befragt, verweist auf "rurale Bräuche" und Rabelais. Schließlich sei es ihm mit seinem Film nicht um die "Rolle der Frau im heutigen Russland" gegangen. Einen Kommentar dazu liefert er trotzdem: Die "Russische Hochzeit" endet im Familienidyll. Auf dem Motorrad, die Gattin auf dem Sozius mit dem unehelichen Sohn im Arm, braust der frischgebackende Familienvater der Zukunft entgegen. Wo mag sie liegen?

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