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Kultur: Russisches Roulette

Christie’s und Sotheby’s setzen auf den Londoner Zeitgenossen-Auktionen mehr um als je zuvor

Es geht wieder rund. Mit einem Fingerschnipp wird für die Kunst der Gegenwert eines Wohnhauses auf den Tisch gelegt – und das nicht bloß einmal. Francis Bacons „Study of a Portrait“ (1953) wurde bei Christie’s in Schritten von einer halben Million Pfund gesteigert, und bald war der Wert einer ganzen Straße zusammen. 18 Millionen Pfund (20 Mio. Euro) für ein Übergangsbild, das eine Brücke zwischen Bacons „Blauen Männern in Anzügen“ und seinen Papstbildern schlägt. „Ein anspruchsvolles, wichtiges Werk, für das etablierte Bacon-Sammler auf den Markt zurückkehrten“, kommentierte Christie’s-Experte Francis Outred. Andere sagten kürzer: „Bacon is back“.

Und nicht nur Bacon. Es gab Rekordpreise für Kunstwerke von über einem Dutzend Künstler, für die sich jeweils drei, vier oder mehr Bewerber anstellten. Es gab einen Umsatzrekord für die Zeitgenossen-Auktion von Sotheby’s, die in London 109 Millionen Pfund (122 Mio. Euro) brachte. Ein Erfolg, der sich vor allem der deutschen Kunst aus der Sammlung von Graf Christian Dürckheim-Ketelhodt verdankte. London hat zwei außergewöhnliche Auktionswochen hinter sich: Die drei führenden Auktionshäuser verkauften Moderne und zeitgenössische Kunst für 511 Millionen Pfund – mehr sogar als in der bisher besten Auktionsserie im Juni 2008.

Nie spielte deutsche Nachkriegskunst auf dem internationalen Auktionsparkett eine solche Rolle wie bei der Versteigerung der Sammlung Dürckheim mit deutscher Kunst der 1960er Jahre. Ein amerikanischer Journalist sprach von einem „Blitz“. Nicht nur von Richter, Polke und Baselitz wurden wichtige Frühwerke angeboten, die man seit Jahrzehnten nirgendwo gesehen hat. Auch Mitstreiter, die zu weniger internationalem Ruhm gekommen sind, wurden versteigert – Markus Lüpertz, Blinky Palermo, Konrad Lueg, Eugen Schönebeck und in der Tagauktion Künstler wie Norbert Tadeusz oder Antonius Höckelmann. In musealer Konzentration kam eine deutsche Kunstepoche unter den Hammer. Deutsche und internationale Händler und Sammler schnappten die Werke weg. Die Gesamtschätzung, die von vielen im Vorfeld als zu niedrig kritisiert wurde, hat sich spielend verdoppelt: 62 Millionen Pfund für 57 verkaufte Lose. „Ein Triumph für die deutsche Kunst“, freute sich Sotheby’s-Expertin Cheyenne Westphal, die Dürckheim lange als Sammler kannte und eines Tages aus blauem Himmel per Telefonanruf informiert wurde, dass sie die Sammlung versteigern könne.

Absatzkönig war Gerhard Richter mit neun Werken, vor allem Fotoarbeiten der sechziger Jahre: Sein Toplos wurde „1024 Farben“, ein Farbtafelgemälde, auf das sich die Händler wegen des guten Zustands und seiner Marktfrische stürzten. Im Nu steigerte es der New Yorker Christoph van de Weghe auf die vierfache Schätzung von 4,3 Millionen Pfund. Richter ist ein Phänomen: Nimmt man die Bilder der Dürckheim-Sammlung und andere Spitzenreiter wie „Mädchen im Liegestuhl“ und „Telefonierender“, zusammen, so wurden in der Londoner Auktionsserie 22 Werke angeboten. Und bis auf eines alle verkauft.

Den großen Preissprung machte Sigmar Polke, der hier auf ein ganz neues Niveau gehoben wurde. Das auf 3–4 Millionen Pfund geschätzte Rasterbild „Dschungel“ brachte per Telefon den neuen Rekordpreis von 5,7 Millionen Pfund, war aber vielen „zu schön“. Wirklich gekämpft wurde um das auf 2–3 Millionen Pfund geschätzte „Stadtbild II“. Der Düsseldorfer Händler Paul Schönewald, der an diesem Abend auf Polke und Richter bot, bezahlte 4,6 Millionen Pfund und wäre, wie er strahlend versicherte, noch höher gegangen. „Dies ist Material, das nie wieder kommt.“

Georg Baselitz war der Dritte der Großen: Sein teuerstes Werk war das Heldenbild „Spekulatius“, vom New Yorker Kunsthändler Aquavella für 3,2 Millionen Pfund zugeschlagen – gerade die obere Taxe. Das noch charakteristischere, indirekt mit dem Berliner Kunstskandal der 60er Jahre verknüpfte „Große Nacht“ war den Händlern aber zu heiß. „Immerhin ist das ein onanierender Mann“, so Schönewald und musste gar nicht mehr sagen: Das war keine Händlerware. Ein Privatsammler ersteigerte das Bild für 2,7 Millionen Pfund. „Der beste Kauf des Abends“, lobte der Pariser Händler Thaddaeus Ropac, der neben ihm saß.

Wichtige Toppreise in den Auktionen erzielte Peter Doig, dessen „Red Boat“ bei Christie’s statt der geschätzten 1,8 Millionen Pfund 6,2 Millionen Pfund brachte. „Russen spielen da eine Rolle“, hieß es wie schon bei Bacon. Ein krustiger Stierkampf von Miquel Barcelo wurde auf knapp vier Millionen Pfund gesteigert, und Juan Muñoz’ „Positive Corner“ kostete 3,4 Millionen Pfund.

Gibt es bei all diesen Auktionstriumphen eine Gemeinsamkeit, weil auf allen mehr zu sehen ist als abstrakt-dekorative Schönheit? Und überhaupt – was war mit Warhol? Liegen die Amerikaner plötzlich hinter den Europäern? „Keineswegs. Warhol bleibt stark, es muss nur das richtige Bild sein“, versicherte Sotheby’s globaler Contemporary-Spezialist Tobias Meyer. Die „Campbell“-Suppendose, die bei Sotheby’s zurückging, war nicht sauber genug. Der „Mao“, der bei Christie’s mit sieben Millionen Pfund gerade die Garantie brachte, war an der Schulter vermalt, Sotheby’s „Debby Harry“ war zwar wunderschön und leuchtend, aber eine wirkliche Ikone ist sie auch nicht gerade: Mit 3,7 Millionen Pfund landete dieses Toplos nun hinter Bacon, Polke und Richter.

Matthias Thibaut

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