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Die Auswirkungen sozialer Netzwerke wie Facebook, StudiVZ und Twitter wurden untersucht.

© dpa

Sachbuch: Soziale Netzwerke: Glück steckt an

James H. Fowler und Nicholas A. Christakis untersuchen die Macht sozialer Netzwerke. Glück kann ansteckend wirken, aber auch Einsamkeit und schlechte Laune.

Mit dem Wörtchen „Glück“ fängt man Leser, gerade auf dem Sachbuchmarkt. So durfte es auch im Titel der deutschen Ausgabe dieses Buches nicht fehlen. „Connected! Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist“ heißt die Untersuchung der amerikanischen Wissenschaftler Nicholas A. Christakis und James H. Fowler, in der es um das Glück nur am Rande geht, sondern vorwiegend um die Macht und den gesellschaftlichen Nutzen sozialer Beziehungen. Das 2009 erschienene Original trägt einen nüchterneren Titel: „The Surprising Power of Our Social Networks and How They Shape Our Lives“.

Der Mediziner und Soziologe Fowler und der Politologe Christakis postulieren, dass nicht nur etwas so wenig Fassbares, Unspezifisches, schwer zu Definierendes, aber höchst Erstrebenswertes wie Glück (wer will nicht glücklich sein?) ansteckend sein kann, sondern auch Einsamkeit, schlechte Laune, politische Einstellungen oder das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern. Von Rauchen, Übergewicht, Rückenschmerzen, Juckreiz oder gar Selbstmord ganz zu schweigen.

Für diese Ansteckung sorgen keine Viren und Bakterien, sondern soziale Netzwerke, die vielfältigen Beziehungen der Menschen untereinander: „Um uns selbst zu verstehen, müssen wir verstehen, wie wir miteinander vernetzt sind“, so Fowler und Christakis, die mit „Connected!“ keine laienhafte Populärwissenschaft à la „Das Glück kommt selten allein“ betreiben, sondern ihre Erkenntnisse aus vielen wissenschaftlichen Untersuchungen beziehen. Wir sind, so fand es in den sechziger Jahren der Psychologe Stanley Milgram mittels einfacher Experimente heraus, durchschnittlich nur sechs Schritte von jedem anderen Menschen auf dieser Welt entfernt – was nicht heißt, dass sich die Ansteckung von Glück oder Übergewicht so weit ausbreitet. Der Einfluss des Einzelnen in sozialen Netzwerken, glauben Fowler und Christakis, reicht nur über drei Ecken. Sie nennen es das „Gesetz der drei Schritte“ und propagieren: „Alles, was wir tun oder sagen, wird durch unser Netzwerk weitergegeben und beeinflusst unsere Freunde (erster Schritt), die Freunde unserer Freunde (zweiter Schritt) und die Freunde der Freunde unserer Freunde (dritter Schritt).“

Das ist immer noch ein großer Radius, und demnach üben wir Einfluss auf Menschen aus, die wir gar nicht kennen – und diese auch auf uns. Das ist tröstlich und motivierend, wer will nicht ein bisschen einflussreich sein? Aber auch besorgniserregend: Sind wir so wenig Herr oder Frau über uns selbst? Bekommen wir tatsächlich Kinder, weil in unserer Umgebung auf einmal alle Kinder bekommen haben? Oder ziehen wir nur ins Grüne, weil unsere Freunde das getan haben und die Freunde unserer Freunde? Dass es in dieser Hinsicht einen starken Druck gibt, diese Erfahrung haben die meisten von uns schon gemacht. Was die Frage anschließt: Ist es um unseren freien Willen so schlecht bestellt, wie es jüngste Hirnforschungen sowieso nahelegen?

James H. Fowler und Nicholas A. Christakis haben damit kaum ein Problem. Sie erwähnen zwar kurz, dass unser freier Wille möglicherweise wirklich nicht mehr als eine Schimäre ist. Aber ihnen geht es mit ihrer Untersuchung um etwas anderes. Darum, dass die bessere Kenntnis sozialer Netzwerke die Lösung gesellschaftlicher Probleme erleichtert, auf dass unsere soziale und kulturelle Intelligenz immer nur zu unserem Besten eingesetzt werde. Dass sich also etwa Armut oder Laster wie Rauchen, Trinken oder Spielen besser bekämpfen lassen, wenn positive Vorbilder ihren Einfluss vergrößern, wenn soziale Netzwerke ausgebaut werden, wenn in bestimmte Therapien einzelner Patienten das soziale Umfeld miteinbezogen wird: „Netzwerke werden immer besser dazu in der Lage sein, kollektive Ziele zu formulieren und zu verwirklichen. Was bereits heute von einem zum anderen weitergegeben wird, wird immer weiter und immer schneller verbreitet werden, und mit dem zunehmenden Umfang der menschlichen Interaktionen erhält das menschliche Leben neue Dimensionen.“

Fowler und Christakis haben keine Scheu vor utopischen Formulierungen (und auch nicht vor Binsen wie dem Miteinbeziehen des sozialen Umfelds bei Suchterkrankungen – das ist ja gang und gäbe). Der „menschliche Überorganismus“ ist gewissermaßen eine Hauptfigur ihres Buches. Dass dieser menschliche Überorganismus ein Eigenleben hat, Stichwort Schwarmintelligenz, leuchtet ein. Aber muss man sich vor ihm nicht auch fürchten? Basierten nicht zuletzt die schlimmsten Auswirkungen totalitärer Ideologien wie etwa des Nationalsozialismus auf einem aus dem Ruder gelaufenen menschlichen Überorganismus? Hinter dem sich wiederum so manches Individuum verschanzt hat, als es zur Verantwortung gezogen werden sollte: Ich habe nur meine Pflicht getan, ich habe nur das getan, was alle getan haben.

Fowler und Christakis deuten zwar an, dass die Interaktionen in sozialen Netzwerken auch schädliche Folgen haben können; allein aber unsere „Hypervernetztheit“ durch die neuen Medien, der sie ebenfalls ein Kapitel widmen, ist für sie primär eine gelungene Verbesserung unser Kommunikationswege. Dass wir die Kontrolle über unser Denken verlieren könnten, wir von Computern mehr zunehmend manipuliert werden, fürchten sie nicht. Schon eher den „digitalen Graben“, der digital komplex vernetzte Menschen von digitalen Analphabeten trennt: „Menschen mit wenigen Beziehungen werden immer weiter isoliert und an den Rand gedrängt.“

James H. Fowler und Nicholas A. Christakis glauben an das Gute im Menschen, an seine Selbstlosigkeit, für sie der Urgrund aller sozialer Beziehungen. In diesem Sinn lässt man sich die Sache mit dem Glück, das ansteckend ist, gern gefallen – man muss bloß genug Freunde haben, die ebenfalls glücklich sind.

Nicholas A. Christakis, James H. Fowler: Connected. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer. S. Fischer, Frankfurt am Main 2010. 440 Seiten, 22,95 €.

Alexander Leopold

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