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Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker: Tiefblaue Welle

Die Berliner Philharmoniker präsentieren mit Brahms und Lutosławski ein Auftaktprogramm, mit welchem sie hergebrachte Formen infrage stellen - jenseits aller Moden.

Wie die Bilder sich ändern beim Saisoneröffnungskonzert der Berliner Philharmoniker: Saßen 2011 noch Bundeskanzlerin Merkel und Deutsche-Bank-Chef Ackermann steif Seite an Seite, finden sich nun Bundespräsident Gauck und Intendant Hoffmann plaudernd nebeneinander auf den ersten Sitzen. Das Ganze wirkt weniger als kapitaler Staatsakt denn als kommunikatives Zusammenkommen – und passt deutlich besser zu Simon Rattle und seiner in schmunzelnder Demut der Musik zugewandten Haltung.

Mit den Musikern präsentiert er ein Auftaktprogramm, das sich durchaus als klingende Botschaft an die Geldgeber aus Politik und Wirtschaft verstehen lässt: Beide Werke – Brahms’ zweites Klavierkonzert und die dritte Symphonie von Lutosławski – stellen hergebrachte Formen infrage, entwickeln sie weiter und gewinnen dem Thema Führen und Folgen neue Aspekte ab. Beide sehen sie sich verankert im Kontinuum der Kunst, jenseits aller Moden, Konjunkturen und Legislaturperioden.

Mit Yefim Bronfman haben die Philharmoniker einen im besten Sinne aus der Zeit gefallenen Musiker für das zweite Klavierkonzert von Brahms eingeladen: eine robuste Solistennatur mit einem Koffer voller europäischer Musiktradition, ausgebildet in Israel und den USA. Ein Pianist von eigenwilliger, rauer Direktheit, der sich zu großer Zartheit locken lässt, ein Bär mit Sentiment. Vielleicht hätte Brahms selbst so gespielt, wäre er 1958 in Taschkent zur Welt gekommen. Bronfman, der es sich kaum anmerken lässt, liebt dieses Orchester, das Eintauchen in seine konturierte Klangpracht, die solistische Brillanz. Im sinfonisch gedachten zweiten Klavierkonzert bieten sich ihm wunderbare Gelegenheiten zum kammermusikalischen Austausch mit den Philharmonikern. Und im zweiten Satz, Allegro appassionato, schaukeln sich Dirigent, Solist und Orchester zu einer unentrinnbaren, tiefblauen Welle empor, deren Sog den ganzen Abend über fortwirkt.

Die Musik von Witold Lutosławski, dem großen klassischen Avantgardisten Polens, haben die Philharmoniker zu einem ihrer Saisonschwerpunkte erkoren. Der Auftakt mit seiner dritten Symphonie, 1983 in Chicago uraufgeführt, offenbart, was sich hier entdecken lässt: eine plastische, wunderbar organisch fließende Musik, die zu locken versteht. Um eine Überanstrengung seiner Hörer zu vermeiden, hat Lutosławski eine besondere Spielform der Ouvertüre in seine Werke eingeflochten. Sie soll einen in die Klangereignisse hineinwachsen lassen, befriedigt aber – vorerst – noch nicht, sondern lässt ein größeres Quantum Musik herbeisehnen.

Lutosławskis von Cage inspirierte Technik des begrenzten Zufalls eröffnet den Orchestergruppen dabei individuelle Inseln, die sich dem Zugriff des Dirigenten entziehen: ein Spiel, das die Expressivität herausfordert. Daran können selbst die Philharmoniker noch wachsen, auf der anschließenden Tournee von Salzburg über Luzern zu zwei Proms-Konzerten in London – und über die gesamte neue Saison hinweg.

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