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Im Kreise seiner Lieben. Bei der Salzburger Inszenierung des „Falstaff“ (Ambrogio Maestri, Mitte) stimmt der Ensemblegeist.

© dpa

Salzburger Festspiele: Kichernd altern

Bei den Salzburger Festspielen schickt Damiano Michieletto Verdis „Falstaff“ ins Seniorenheim In der Titelrolle glänzt Ambrogio Maestri, der den Part seit zwölf Jahren so wuchtig wie witzig singt.

Überall in der Salzburger Altstadt sind in den Geschäften Aphorismen an die Schaufensterscheiben geklebt. Bedenkenswerte Sinnsprüche wie dieser von Ilse Aichinger, der großen alten Dame der österreichischen Literatur: „Es wäre vielleicht gut, kichernd zu altern, so wie man kichernd groß wird.“ Sehr passend, wenn man gerade auf dem Weg in den Festspielbezirk ist, um Giuseppe Verdis Spätwerk „Falstaff“ anzuschauen, eine Komödie, frei nach Shakespeares „Lustigen Weibern von Windsor“. Sehr passend auch, dass der Laden in der Griesgasse einen italienischen Namen trägt: „Camicie per amici“, Hemden für Freunde. Der Regisseur der Produktion, Damiano Michieletto, ist nämlich ein Landsmann Verdis. Und ein Protégé von Alexander Pereira. Schon als Chef des Züricher Opernhauses hat er den 1975 geborenen Venezianer gefördert, gleich zum Start seiner Salzburger Intendanz ließ Pereira ihn im vergangenen Sommer „La Bohème“ mit Anna Netrebko inszenieren. Damals war Daniele Gatti Michielettos Partner im Orchestergraben, diesmal ist es Zubin Mehta.

Als Verdis allerletzte Oper 1893 im Teatro alla Scala uraufgeführt wurde, trug sich der Komponist bereits mit dem Gedanken, in Mailand ein Altersheim für mittellose Künstler zu gründen. Er selber war in finanzieller Sicherheit ergraut, weil er die Einkünfte aus seinen Opern klug investiert hatte, in Ackerland nämlich. Verdis Gut Sant’Agata in der Provinz Piacenza war im Laufe der Jahrzehnte auf eine Größe von fast sieben Quadratkilometern angewachsen. Der Komponist konnte es sich leisten, an der Piazza Buonarroti einen Dreistöcker im venezianischen Stil zu errichten. Und er verfügte, dass seine Tantiemen der „Casa di riposo per musicisti“ zukommen sollten. Das Haus existiert noch heute, Daniel Schmid hat in seinem bewegenden Dokumentarfilm „Der Kuss der Tosca“ dessen Bewohner porträtiert, jüngst ließ sich auch Dustin Hoffman für sein Regie-Debüt „Quartett“ von der „Casa Verdi“ inspirieren.

Und nun schicken also Daniele Michieletto und sein Bühnenbildner Paolo Fantin „Falstaff“ in die Seniorenresidenz. Das heißt: Ein Alter Ego der Bühnenfigur, einen Sänger, der wohl früher einmal in der Rolle geglänzt hat. Allerdings womöglich eher an Provinzbühnen, sonst wäre er ja nicht hier. Oder er hat es mit seinen Gagen gemacht wie Sir John, der dicke Ritter, der Tagedieb, Säufer und Frauenheld – es einfach verjubelt?

Jetzt jedenfalls trägt er eine gemütliche Strickjacke überm Karohemd und macht sein Mittagsschläfchen gerne auf der extrabreiten Couch im Gemeinschaftssalon. Ein Pianistenrentner klimpert auf dem Flügel Verdi-Melodien, Motive aus „Falstaff“ sind dabei, Traviatas „Addio del passato“ scheint auf. Aber das stört den müden Opernhelden wenig. Er wacht noch nicht einmal auf, als der Servierwagen an ihm vorbeigeschoben wird und sich seine Mitbewohner mühsam aus ihren Sesseln bugsieren und hinüber in den Speisesaal schlurfen.

In den kommenden zwei Stunden wird er von früheren Heldentaten träumen. Vielleicht auch nur von seinen Wünschen und Illusionen. Für den Zuschauer jedenfalls entspinnt sich ein höchst kurzweiliges Zauberspiel, das die Märchenwelt des dritten Aktes auf das gesamte Stück überträgt. Durch die Fenster schlüpfen die Personen der Shakespeare-Handlung herein und heraus, verschwinden gerne auch mal in Versenkungen. Sie tragen Kostüme im Stil der Uraufführungszeit (stilsicher entworfen von Carla Teti), können aber ebenso auch in modernen Outfits auftreten, wie Mrs. Quickly, die Falstaff als sexy Servicekraft erscheint, oder Mr. Ford, der sich als Rollstuhl-Greis tarnt, wenn er den vermeintlichen Hausfreund seiner Gattin aushorchen will.

Damiano Michieletto sprudelt nur so über vor Ideen, wenn es darum geht, Illusion und Wirklichkeit miteinander zu verschränken. In Italien, wo armruderndes Rampenstehen immer noch üblich ist, dürfte er derzeit der einzige Opernregisseur sein, der die Kunst der temporeichen, detailgenauen Personenführung beherrscht. Wie er die Szene löst, in der Falstaff samt Wäschekorb in die Themse gekippt wird, sei hier nicht verraten – schließlich ist die Inszenierung am Sonnabend im Fernsehen auf 3Sat zu sehen.

Verdi hätte das Spiel mit den Ebenen sicher gefallen. Denn er war nie ein Fan der vorhersehbar abschnurrenden Farce mit klappenden Türen. Darum war ihm das nächtliche Finale im Wald so wichtig, das Verwirrspiel, bei dem das Publikum bis zum Schluss mitfiebern kann.

In Salzburg funktioniert das fabelhaft, weil auf der Bühne der Ensemblegeist stimmt. Spitzenkräfte sind hier versammelt, ob das die reife, erfahrene Alice der Fiorenza Cedolins ist, oder Elisabeth Kulman als Mrs. Quickly, die vollen Körpereinsatz zeigt und dabei noch berückend schön singt. Ambrogio Maestri, auch im echten Leben ein Berg von einem Mann, ist der ideale Titelheld. Mit einem Organ, das mühelos Hundertschaften übertönt, aber auch so fein sein kann wie sein Witz. Seit 12 Jahren ist er weltweit der Falstaff vom Dienst, die Salzburger ist seine 20. Neuproduktion der Oper. Noch ist von Routine nichts zu spüren, noch wuchtet er seinen Körper mit beachtlichem Geschick durch die Handlung. Vor allem aber genießt er es, die rhythmischen Tücken der Partitur mit lässiger Souveränität zu beherrschen, das Sicherheitszentrum in den turbulenten Massenszenen zu sein.

Zubin Mehta dagegen hat alle Hände voll zu tun, Bühne und Graben zu koordinieren. Er konzentriert sich ganz aufs Theaterpraktische, stürmt mit den Wiener Philharmonikern durch die Szenen, lässt den Puls der Musik höher schlagen. Bloß das Künstliche dieser kunstvollsten aller Verdi-Partituren nicht ausstellen! Bloß keine Alterswerk-Weisheit herauspräparieren! Den Beweis angetreten, dass dieses von Kennern hochgeschätzte Konversationsstück, bei dem die Abonnenten aber nie wissen, wann sie klatschen sollen, weil es keine Arien mehr gibt, dass also dieses für Verdi so untypische opus ultimum doch ganz volkstümlich ist. Frisch drauflos also, die ungebrochene Vitalität des damals 80-jährigen Komponisten feiern, auch wenn für manche Nuance, manchen duftigen Klangeffekt der Partitur keine Zeit bleibt. Und ehe man sich’s versieht, geht schon die berühmte Schlussfuge los: „Alles in der Welt ist Scherz“. Kichernd altern – eine schöne Vision.

Am Samstag, den 3. August, zeigt 3Sat den Salzburger „Falstaff“ ab 19 Uhr

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