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Blick in die Zukunft? Worldcoin-Mitarbeiter Ricardo Macieira mit dem biometrischen Scanner The Orb.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Sam Altmans Start-up Worldcoin: Grundeinkommen mit Kryptowährung

Sam Altman will mit seinem Krypto-Start-up Worldcoin Augen scannen, um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bezahlen. Hinter der biometrischen Registratur verbirgt sich ein globaler Machtanspruch. 

Von Adrian Lobe

Eine Kugel versetzt die Welt in Staunen: Sie sieht aus wie eine Bowlingkugel, ist gut drei Kilogramm schwer und vollgestopft mit Elektronik. Ihr Name: The Orb. Man findet sie in zahlreichen Städten der Welt, von São Paulo bis Hongkong. So, wie der chromglänzende Ball auf einem Granitstein vor der Pyramide des Pariser Louvre drapiert war und den Innenhof des Museums spiegelte, könnte der Betrachter glauben, er stehe vor einer Skulptur von Jeff Koons, der eine Miniversion von La Géode entworfen hat. Doch bei The Orb handelt es nicht um ein Kunstobjekt, sondern um einen profanen Augenscanner.

Kapitalismus als „schmerzlose Erfahrung“

Das technische Gerät, das mit einem optischen System von Sensoren und Kameras ausgestattet ist, wurde von Sam Altmans Krypto-Start-up Worldcoin entwickelt, um einen digitalen Identitätsnachweis (World ID) zu erstellen. Nutzer, die sich per App registriert haben, können mit dem Gerät ihre Augen bzw. Iris scannen lassen. Dazu starrt man in die Chromkugel und lässt seine Augen von hochauflösenden Kameras ablichten.

Die einzigartigen biometrischen Merkmale werden dann mithilfe einer Künstlichen Intelligenz codiert und in einer Datenbank gespeichert. Als Belohnung erhalten die freiwilligen Teilnehmer 25 Krypto-Token. Biometrie gegen Bares. Oder wie Sam Altman sagt: „Kapitalismus für alle.“

Kapitalismus für alle.

 Sam Altman über Worldcoin

Die Journalistin Noor Al-Sibai, die für das Online-Magazin „Futurism“ das Gerät getestet hat, wunderte sich in ihrem Bericht, wie geräuschlos und diskret die Erfassung ihrer biometrischen Daten ablief. Der Scanner machte kaum ein Geräusch und blinkte nicht Science-Fiction-mäßig, nur ein Infrarotsensor leuchtete. Die „schmerzlose Erfahrung“ habe sich weniger wie ein Termin beim Augenarzt als vielmehr ein lockeres Foto-Shooting bei einem Freund angefühlt – nur dass man nicht gewusst habe, wann man „Cheese“ sagen muss.

Zwei Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben ihre Augen scannen lassen. Geht es nach Worldcoin, ist das erst der Anfang. Das Krypto-Start-up will die Retina acht Milliarden Menschen auf der Welt erfassen. Ein Projekt, das so vermessen und größenwahnsinnig erscheint, dass selbst die Datensammelwut der NSA dagegen krämerisch erscheint.

Rettung des Kapitalismus’

Worldcoin wurde ursprünglich mit dem Ziel lanciert, eine Authentifizierung zur Unterscheidung von Mensch und Maschine zu etablieren. Doch Altman verfolgt mit dem Projekt noch ganz andere Ziele. Er will die Kryptowährung als Vehikel nutzen, um Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bezahlen: Den Unternehmer treibt die Sorge um, dass im Lauf der Zeit eine Superintelligenz entstehen könnte, die dem Menschen die Arbeit wegnimmt und „den Kapitalismus zerstört“.

Altman geht es – im Gegensatz zur Rhetorik von Facebook-Chef Mark Zuckerberg – nicht mehr darum, die Menschheit, sondern den Kapitalismus zu retten, dem durch die Automatisierung eine wichtige Antriebsfeder – das Streben nach dem eigenen Vorteil – abhandenkommen könnte.

Designobjekt oder Bereicherung des Alltags? Der biometrische Scanner The Orb ist vor allem eine Datenkrake.
Designobjekt oder Bereicherung des Alltags? Der biometrische Scanner The Orb ist vor allem eine Datenkrake.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Die Investoren im Silicon Valley trommeln – in weiser Voraussicht ihrer eigenen Entwicklungen – schon länger für ein bedingungsloses Grundeinkommen, um die sozialen Härten der KI-Revolution abzufedern. So hat das einflussreiche Gründerzentrum Y-Combinator bereits 2016 in einer Pilotstudie hundert Familien im kalifornischen Oakland ein Grundeinkommen zwischen 1000 und 2000 Dollar im Monat bezahlt. Die Idee ist anschlussfähig an ein breites politisches Spektrum von Libertären bis Sozialisten ist. Für die einen ist ein bedingungsloses Grundeinkommen „Wagniskapital fürs Volk“, für die anderen ein „soziales Vakzin im 21. Jahrhundert“.

Kontrast zur Techno-Dystopie

Mit Worldcoin formuliert Altman nicht nur eine kapitalistische Utopie – als Kontrastfolie zu seinen Techno-Dystopien –, sondern auch einen globalen Machtanspruch. Darauf verweist schon symbolisch die chromförmige Kugel The Orb, die dem Reichsapfel nachempfunden scheint und ästhetisch an die Glattheit des iPhones erinnert, als auch die World ID, die als globaler Passierschein für Internauten im Cyberspace fungieren soll: ein Ausweis für soziale Netzwerke, E-Commerce und Wahlen. Worldcoin könnte zu einem Versuchslabor eines vernetzten Plattformstaates werden, der Verwaltungsleistungen per App erbringt.

Der menschliche Körper ist kein Fahrkartenlocher.

Edward Snowden Whistleblower

Die biometrische Registratur, die als Instrument der Datenerfassung genutzt wird, ist ein klassisches Element von Staatlichkeit – und hat ihren Ursprung im Kolonialismus. 1858 begann der britische Kolonialbeamte William Herschel in Indien, Hand- und Fingerabdrücke zur eindeutigen Identifizierung von Personen und Beglaubigung von Pensionsansprüchen zu nutzen.

Die Daktyloskopie wurde später vom Naturforscher Francis Galton verfeinert und etablierte sich schnell als kriminalistische Technik. Die Iriserkennung wurde erst in den 1990er Jahren entwickelt und kommt heute unter anderem in UN-Flüchtlingscamps in Jordanien zum Einsatz, wo sich Menschen mit ihren Augen legitimieren müssen, um im Supermarkt einkaufen oder Geld abheben zu können.

Datenschützer schlagen Alarm

Die erkennungsdienstlichen Praktiken, die in ehemaligen Kolonien des globalen Südens erprobt werden, kehren per „Bumerang-Effekt“ (Foucault) in den Westen zurück. So wie der Staat die Körper seiner Bürger unterwarf, um sie in Schulen und Kasernen zu dressieren und disziplinieren, bemächtigen sich heute Tech-Konzerne der Datenkörper ihrer Nutzer, um sie zu mustern.

Die digitale Spurensicherung hat sich von ihrem kriminalistischen Zweck weitgehend gelöst – es gilt als cool, sein iPhone per Fingerabdruck oder Gesichtserkennung zu entsperren oder Zahlungen im Supermarkt per Handerkennung zu autorisieren. Auch der Blick in eine mystische Chromkugel scheint für viele Menschen einen Reiz zu besitzen.

Das Silicon Valley hat es geschafft, den Werkzeugkasten von Kliniken und Polizeien zu öffnen und diskret in Minicomputer einzubauen. The Orb oder auch das Smartphone kommen schließlich nicht als mobile Arztpraxis daher (was sie aber eigentlich sind), sondern als schicke Designerobjekte.

Die Frage, ob man einem Krypto-Start-up, das auf den Cayman Islands registriert ist, seine biometrischen Daten anvertrauen kann, kann nur eine rhetorische sein. Der Whistleblower Edward Snowden warnt seit Jahren davor, biometrische Daten zu katalogisieren: „Der menschliche Körper ist kein Fahrkartenlocher.“ Auch die Datenschutzbehörden schlagen Alarm. Vielleicht ist das eigentlich Dystopische, dass die Normalisierung kriminalistischer Techniken heute gar nicht mehr dystopisch erscheint.

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