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Kultur: Samba tanzen

Die Galerie Vostell expandiert und zieht an den Pfefferberg

Bekanntlich sind im guten alten Blues die Sänger gerade aus der Wohnung geflogen, sitzen auf der Straße und suchen – down and out with a bottle of booze – im Reim von Klageliedern ein Zuhause. Weshalb Beobachter vom „Spiegel“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ gerade in Berlin den Blues tonangebend hören, wird sich wohl als Tick von weißen Mäusen enträtseln. Allenfalls gibt es Berliner Kunsthändler, die zu später Stunde Schlager von Marianne Rosenberg schmettern, aber diese werden als Ausdruck unbändiger Lebensfreude vernommen. Viele haben in den letzten Jahren ihre ersten Galerieräume verlassen, um in größeren wieder zu eröffnen, und es gehört zum Habitus, ein wenig zu grummeln, weil man keine schlafenden Neider wecken will. Doch der Kunsthandel hielt auf Expansionskurs wie seit hundert Jahren nicht. Dazu tragen Kunden aus Berlin noch immer weniger bei als Auswärtige. Doch zum Blues fehlt es Kunsthändlern an Leidensdruck. Sie tanzen Samba und lassen gelegentlich die Korken bloppen. Denn Umzug heißt weiterhin Aufstieg.

Der Galerist Rafael Vostell leistet sich gar eine Doppelexpansion. Er verließ die Räume in Charlottenburg und richtet sich im von Neueröffnungen wuchernden Gebiet nördlich der Torstraße in einer großen Halle des Pfefferberg-Areals in Mitte ein. Nächstes Jahr wird er zudem eine Dependance in Madrid eröffnen. Wie manche Söhne von dominanten Vätern hatte er es schwerer, sich einen eigenen Ruf zu erwerben, als diejenigen, die als no s gestartet waren.

Versüßt wurde die Erschwernis allerdings durch eine finanziell gepolsterte Startbasis. Doch was immer Rafael Vostell tat, es wurde zunächst dem Einfluss seines Vaters, dem 1998 verstorbenen Künstler Wolf Vostell, zugeschrieben. Das fing schon damit an, dass der damals 28-Jährige 1993 gleich in einer noblen, einst vom Werkbund inspirierten Etage eröffnete und Werke der fidelen und ruhmreichen Fluxusfreunde seines Vaters zeigte: Arman, John Cage, Dick Higgins, Yoko Ono, Name June Paik, Ben Patterson, Emmett Williams, deren musealen Charme man in Berlin nicht recht zu würdigen wusste. Sein Anderssein zeigte der Junggalerist auch darin, dass er die Sprache der Galerienmitteilungen nicht dem Jargon von trendbewussten Kunstzeitschriften anpasste, sondern sich in jovialem Ton direkt an die „lieben Kunstfreunde“ wendete.

Damit entfiel der Hipness-Faktor. Die Galerie galt irrtümlich von vorn herein als gesettelt. Vostells Bemühen, Boden zu gewinnen, konnte bei jenen kleinen diskursstarken Kreisen nicht punkten, die sich an der rasanten Dynamik von Mitte orientierten. Doch die Kunstwelt ist groß. Vostell nahm regelmäßig an der ARCO in Madrid teil, der besucherstärksten Kunstmesse der Welt, stellte ziemlich regelmäßig auf der Art Cologne aus und erschloss sich seinen Kundenstamm. Er legte sich überdies für das prächtige Museo Vostell ins Zeug, das in der spanischen Extremadura neben Hauptwerken Wolf Vostells die Leihgaben eines italienischen Fluxus-Enthusiasten der ersten Stunde und damit die größte Sammlung von Fluxus-Künstlern vereint. Er arbeitete klugerweise nicht gegen den Vater, sondern nahm die Tradition der Familie an. Gleichzeitig vertraute er auf Fluxus-Erben wie die Künstlerin Qin Yufen, die vom Fluxus-Papst René Block abgesegnet und gut im Geschäft ist. Daneben war der Video-Künstler Constantin Ciervo nach Vostells Geschmack.

Und die große Ana Maria Tavares aus Brasilien eröffnet heute die neue Halle mit der Ausstellung „Entrückte Körper Gru/Txl“ und inszeniert mit den im Titel angespielten Abkürzungen für die Flughäfen von Sao Paulo (Gru) und Tegel (Txl) Fragmente von Nicht-Orten. So nannte der Ethnologe Marc Aug geschichtslose, neutrale Orte wie Transithallen, Einkaufszentren, Feriendörfer, Flüchtlingslager, die eigens zur Durchreise konzipiert und Knoten im weitverzweigten Kommunikationsnetz bilden. Ana Maria Tavares konzentriert sich auf die edle Seite der permanenten Provisiorien dieser ganz und gar ent-individualisierten Räume. Sie verwendet Material wie Edelstahl, Spiegel und Glas, die nicht altern können. Entweder sehen sie schick oder schäbig aus.

Sie tut dies selbst in einem Provisorium. Das 300 Quadratmeter große neue Dominizil der Galerie wird nach zwei weiteren Ausstellungen totalsaniert und im nächsten Jahr zum zehnjährigen Bestehen der Galerie festlich wiedereröffnet. Krise?! Wo? Nur die weißen Mäuse spielen Adagio. Peter Herbstreuth

Galerie Vostell, Schönhauser Allee 176; bis 18. Oktober, Dienstag bis Sonnabend 14 bis 20 Uhr; Eröffnung heute 17 bis 21 Uhr.

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